Portugiesischer Jakobsweg
Buon Camino!
Unterwegs auf dem portugiesischen Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela
Von Uwe Junker
Eine Gruppe irischer Mountainbiker stemmt vor der imposanten Kathedrale jubelnd ihre Fahrräder in die Höhe, Wanderer aus Australien gruppieren sich im Halbkreis und stimmen ein Lied an, Asiaten liegen erschöpft mitten auf dem Platz, ihre Häupter auf riesigen Trekkingrucksäcken gebettet, den Blick himmelwärts gerichtet. Wieder andere sitzen in stiller Kontemplation alleine oder wie wir zu zweit am Boden, ihre Rücken an die Mauern des Rathauses angelehnt und lassen dieses internationale Gewusel, die unterschiedlichen Gemütszustände der Pilger vor dem Hintergrund einer der imposantesten Kathedralen der Welt auf sich einwirken. Massentourismus? Ja und nein. Denn irgendwie ist doch jeder mit sich selbst beschäftigt. Hatte ich ein Ziel? Hat mich der Weg dem näher gebracht? Wir beide fanden
in den zurücklegenden Tagen die richtige Mischung zwischen Austausch untereinander oder mit anderen Pilgern zwischen Natur und Kultur, spirituellen und weltlichen Gedanken und nicht zuletzt Besinnung auf sich selbst, Antworten auf die Frage, wie wir unseren noch verbleibenden Lebensweg gestalten möchten.
Wir vertiefen uns in die architektonischen Details der Kathedrale, die in beeindruckender Weise das zentrale Thema des Jakobswegs symbolisieren: Begegnung mit anderen Pilgern oder mit sich selbst. Jakobus (der Ältere), jener Jünger, der zusammen mit Petrus und Johannes zu Jesu engsten Vertrauten gehörte, ist Dreh- und Angelpunkt: Er grüßt die Pilger von allen vier Portalen aus und stiftet hier am Ziel des Weges wieder Gemeinschaft. Alle sind willkommen. Ganz intensiv dem Ankömmling zugewandt erscheint er an der Puerta Santa: Ein sanfter Blick, der vor allem, wenn die Morgensonne auf die Skulptur strahlt, zu sagen scheint: „Schön, dass du da bist.“ An der gleichen Pforte finden sich die einander zugewandten Gesichter der 24
Ältesten, deren Blicke ein tiefes gegenseitiges Verstehen widerspiegeln. Innige Beziehung auch am Südportal: Gott erschafft Eva, steht mit ihr auf gleicher Höhe, ihr tief in die Augen blickend, seinen linken Arm um ihren Hals gelegt, seine rechte Hand auf ihrer Brust ruhend.Ein Plädoyer für die Familie als Keimzelle menschlicher Gemeinschaft an der Obradorio-Fassade gegenüber dem Rathaus: Jakobus mit seinen Eltern und Geschwistern. Am Immaculada-Platz endet der
Jakobsweg. Über dem hiesigen Eingang zur Kathedrale erhebt sich eine Frauengestalt mit Kreuz und verbundenen Augen. Hier,
wo jeder ankommt, mag ihre Botschaft lauten: Du hast es geschafft, etwas hat dich getragen, dem du blind vertrauen konntest. Es gibt sie, die Realitäten wie Liebe und (Gott-)Vertrauen, die nicht wissenschaftlich beweisbar sind. Und jenes allgegenwärtige ungewöhnliche Santiagokreuz, das eher wie eine Kombination aus Pfeil oder Schwert anmutet? Dessen drei obere Enden tragen Lilien – ein Symbol der Liebe. Das Schwert steht für Kampf – vielleicht für den in uns selbst bis hin zu einer schwierigen Entscheidung. Beides zusammen mag uns dazu motivieren, die Chancen zu nutzen, die wir in unserem Leben haben, uns für die Liebe zu entscheiden und dadurch die Welt ein wenig freundlicher zu machen.
Porto – Azujelos, Fado, Kirchen und Portwein
Hier begann unser Weg: Manuel, ein rüstiger Mittsechziger und Eigentümer unseres mit viel Liebe zum detailrestaurierten Appartement in der Rua de Almada ist kein Freund von langen Vorträgen. Nach knapp 15 Minuten wissen wir nicht nur wie alles Technische funktioniert, sondern halten auch schon eine Wegbeschreibung zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten und seinen Lieblingscafés und Restaurants in der Hand. Mit einer Flasche Vinho Verde, diesem leicht prickelnden, in Nordportugal angebauten jungen Wein verabschiedet er sich. Die kommt erst mal in den Kühlschrank. Denn es bleibt noch Zeit, um erste Eindrücke von Portugals zweitgrößter Stadt zu sammeln. Schon nach wenigen Minuten Fußweg ist klar: Es wird in den
nächsten Tagen in dieser an den steilen Abhängen des Douro-Ufers gebauten Stadt entweder bergab oder bergauf gehen. Zunächst geht bergab zur Kathedrale Se´, bei der der Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela auch für uns in zwei Tagen beginnen wird und wo wir unsere Pilgerausweise erhalten. Der Weg dorthin führt über die von Prachtbauten gerahmte Avenida dos Aliados, an einem Ende Rathaus und Uhrenturm, am anderen der Platz der
Freiheit. Lässt man von dort den Blick schweifen, wird er häufig auf eine Kirche treffen: westlich die ovale Barockkirche von Clerigos, östlich die Igreja de Congregados, deren mit Azujelos geschmückte Fassade die Abendsonne für uns gerade in warmes Licht taucht. Prachtvoller Kachelschmuck auch in der Eingangshalle des Bahnhofs. Hier erzählen uns die prächtigen
Kachelbilder die Geschichte des Landes: von Fischern, Bauern, politischen Intrigen und Machtkämpfen. Die im Kreuzgang der Kathedrale zeigen Szenen aus dem Leben Marias.
Trutzig-wehrhaft liegt diese romanisch-gotische Festungskirche auf einem Felsplateau hoch über dem Douro. Wir lassen uns hinunter treiben durch das Altstadtlabyrinth aus engen Gassen, steilen Treppen und bonbonfarbenen Häusern. „Wenn ihr dort unten Abendessen wollt, dann wandert besser vom Zentrum Ribeiras Richtung Ponte Dom Luis. Da sind weniger Touristen, Service und Essen sind besser“, hat uns Manuel einige Stunden früher geraten. So sitzen wir nun in einem familiären Fischrestaurant: die Wirtin kocht, ihr Gatte serviert uns Rose´
von den Hängen des Douro und Bacalhau (Kabeljau) und wir haben rein gar nichts zu beanstanden. Dabei die stählerne Bogenbrücke ebenso im Blick wie den Ort Vila Nova de Gaia am gegenüber liegenden Ufer mit seinen renommierten Portweinkellereien und das über ihm am Berg thronende ehemalige Benediktinerkloster, wo sich die Fotofreaks schon wieder versammelt haben: die Altstadt von Porto im Sonnenuntergang oder bei Nacht perfekt abzulichten, ist ihre meist selbst gestellte Aufgabe.
„Warum liegen die Portweinkellereien alle da drüben?“, wollen wir von unserem Wirt wissen. „Dazu gibt´s zwei überlieferte Ansichten“, antwortet er schmunzelnd. „Manche sagen, weil dort früher keine Steuern erhoben wurden, andere begründen es mit der geringeren Hitze auf der anderen Seite des Douro und der dadurch begünstigten Lagerung des Portweins. Wahrscheinlich stimmt beides.“ Am nächsten Abend sind wir dort, genießen in der
Portweinfabrik Calem diesen schweren Wein in weiß und rot, begleitet von Fado-Musik und -Gesang. „Oh wie melancholisch diese Musik im Vergleich zum Flamenco doch ist aber sooo schön!“, schwärmt eine junge Südkoreanerin an unserem Tisch. Recht hat sie.
Matosinhos – der Weg ist das Ziel
Morgens auf dem Weg nach Matosinhos, erst am Ufer des Douro entlang, später, nachdem wir auf der Uferpromenade den Leuchtturm Farol de Sao Miguel hinter uns gelassen haben, reiht sich ein Atlantikstrand an den nächsten: mal weitläufig mit rauem Wellengang, mal von Muscheln-bedeckten Felsen gerahmt. Einsame Sonnenanbeter an diesem noch warmen Tag im
späten September, kleine Strandrestaurants, aus denen es einladend noch nach Kaffee und Croissants duftet oder schon nach Fisch.
Matosinhos selbst stirbt nicht in Schönheit: eine moderne Metropole mit bedeutendem Fracht- und Kreuzfahrthafen und Fischfabriken. Imposant ist der weite Strand, begrenzt von der kleinen Festung Forte Sao Francisco Xavier und einer berührenden Skulptur am anderen Ende: Fischerfrauen mit ihren Kindern, gegen den Wind gebeugt und ihren in stürmischer See gebliebenen Männern und Vätern achtrauernd. Nicht von ungefähr trägt dieser Küstenabschnitt, der sich von La Coruña bis zum Kap Finisterre erstreckt, den Namen „Costa da Morta“. Nahe
dem Hafen warten zahlreiche Fischrestaurants darauf, sich hungriger Pilger anzunehmen: Zum Beispiel in Gestalt frisch gegrillter Sardinen, die noch wenige Stunden zuvor nichts von ihrem unfreiwilligen kulinarischen Werdegang ahnten.
Barcelos – Keramikkunst und ein toter Hahn, der Wichtiges zu sagen hat
„Es ist so sicher, dass ich unschuldig bin, wie dieser Hahn krähen wird, wenn man mich hängt.“ – Worte eines galicischen Pilgers, der trotz dieser Unschuldsbeteuerungen einst zum Tod durch Erhängen verurteilt wurde. Und der Hahn krähte tatsächlich, kross gebraten auf dem Teller des verantwortlichen Richters. Der erhob sich unversehens vom Mittagsmahl und begab sich eilends zum Galgen und ließ den Pilger abhängen, der bis dahin dank einer zu locker gebundenen Schlinge überlebt hatte. Der wiederum fühlte sich der Jungfrau Maria zu Dank verpflichtet, der er seine Rettung zuschrieb. Daher soll er Jahre nach diesem prägenden Erlebnis nach Barcelos zurückgekehrt sein, um jenes Kreuz am Ortseingang zu errichten.
Legende hin oder her - die in vielen Restaurants des Städtchens angebotenen Brathähnchen munden vorzüglich und so mancher Pilger ersteht auch ein rucksacktaugliches Keramik-exemplar. Keramik in Perfektion – dafür ist Barcelos weit über die Grenzen Portugals hinaus bekannt. Davon zeugen auch die ausdrucksstarken Kachelbilder in der runden Kirche Bom Jesus. Valença und Tui – eine ziemlich grüne und stille Zeit – und Landesgrenze
„Habt ihr die vielen Spanier gesehen, die in Valença einkaufen“, fragt uns unvermittelt ein Walker auf der Brücke die den träge dahin fließenden, von sattem Grün gesäumten Miño überspannt, die Grenze zwischen Portugal und Spanien. „Ich heiße Miguel und habe über 30 Jahre bei Mercedes-Benz in Stuttgart gearbeitet“, stellt der Fremde sich vor, wobei er unsere Hände schüttelt. Von dem Geld hat er sich in Valença ein Haus gebaut. Jeden Morgen überquert er schnellen Schrittes die Brücke zwischen seinem Heimatort und dem spanischen Tui - sein Frühsport. Den er gerne unterbricht, wenn er Deutsche trifft. „Die Spanier kommen zu uns rüber, um Kleidung und Lebensmittel zu kaufen. Bei uns ist alles viel preiswerter.“ Ja, die für
einen so kleinen Ort wie Valença zahlreichen Bekleidungsgeschäfte und die Gruppen spanischer „Nicht-Pilger-Touristen“ sind uns aufgefallen. Sie haben unseren bleibenden Eindruck dieses mittelalterlichen Kleinods aber keineswegs getrübt: eine vollständig von ihrer historischen Festungsmauer mit zehn Türmen und vier Toren geschützte Altstadt und mittendrin der Praça da Republica mit seiner einladenden Gastronomie.
Kurz nachdem wir uns vom stolzen Portugiesen verabschiedet haben, stellen wir noch auf der Grenzbrücke unsere Uhren um auf spanische Zeit: Hier ist man eine Stunde voraus. Die Brücke, 1886 von einem jungen spanischen Architekten fertiggestellt, der sich vom Eifelturm inspirieren ließ, ist heute ein Symbol des friedlichen Zusammenlebens beider Länder. Der Blick auf die Bischofsstadt Tui bezeugt, das das nicht immer so war: Sie ist von wehrhaften Mauern gesäumt, im 11. Jahrhundert zum Schutz gegen arabische Überfälle errichtet, im 17. anlässlich des Krieges mit Portugal verstärkt. Der Legende nach soll der Apostel Jakobus hier gepredigt
und einen Prälaten eingesetzt haben. Die Kathedrale, am höchsten Punkt der Stadt errichtet, lassen manche Pilger links liegen - vielleicht wegen der vier Euro Eintrittsgebühr. Am falschen Ende gespart! Denn sie verpassen eines der imposantesten Sakralbauwerke des Weges, das Elemente einer militärischen Festung mit solchen der auf dem Höhepunkt befindlichen Romanik
und der aufkommenden Gotik vereint. Und auch den Kreuzgang aus dem 13. Jahrhundert, der sich zu einem galerieartigen Garten öffnet. Von hier genießen wir prächtige Ausblicke über das Flusstal des Miño und zurück nach Valença.
Pontevedra – Apfelsinenbäume, pilgernde Jungfrau und ein Flussstrand
An der Praza do Teucro spielen einige Schüler unter Aufsicht ihres Lehrers zwischen Orangenbäumen Fußball, andere tollen einfach nur herum, von einem Alten über seine Zeitung hinweg interessiert beäugt. Der Platz liegt direkt am Jakobsweg durch Pontevedra - Touristenmassen erfreulicherweise Fehlanzeige. Stille mittelalterliche Gassen sind wir vom Flussufer des Lérez empor gestiegen, entdeckten die imposante Real Basílica de Santa Maria la Mayor, die von Bedeutung und Reichtum Pontevedras und seiner seefahrenden Kaufleute zeugt: an der Hauptfassade wachen Petrus und Paulus zu beiden Seiten des Hauptportals,
über ihnen, einem Altarbild ähnlich, mit großer Liebe zum Detail gearbeitete Szenen aus dem Leben Jesu - unten mit der Entschlafung der Jungfrau beginnend, oben mit der Kreuzigungsszene als Krönung der Fassade endend. Wer genau hinschaut, wird den Heiligen Hieronymus mit Brille als Symbol für Weisheit und Intelligenz entdecken.
Vom Praza do Teucro führt der Jakobsweg zu einer seiner sakralen Hauptattraktionen, dem Sanctuario de la Virgen Peregrina. In ihrem Grundriss einer Jakobsmuschel, dem Wahrzeichen des Camino, nachempfunden, beherbergt die Barockkirche im Inneren ein Altarbild Marias im Pilgergewand und ein Weihwasserbecken in Muschelform. Maria Peregrina, die Schutzpatronin
der Provinz Pontevedra und des portugiesischen Jakobsweges ziert auch die Fassade, eingerahmt von Jesus von Nazareth und Jakobus, ebenfalls in Pilgergewändern.
Die Miet-Strandliegen sind zwar schon im Winterverschlag, doch ein Rucksack als Kopfkissen oder ein Baum zum Anlehnen tun es auch: Wir rasten in der angenehmen Septembersonne am feinen Sandstrand des Lérez, weiter entfernt spielt eine Mädchenklasse Völkerball, ein Fischreiher stakst recht nah heran, hofft wohl Reste unseres Picknicks zu ergattern. Fliegt davon, als wir wenig später ins warme Wasser gleiten. Wie gut es tut, nach all der Lauferei den Körper ohne Gepäck fast schwerelos zu strecken! Einen ähnlichen Wellnessmoment erleben
wir später nochmals im Örtchen Caldas de Reis, in dessen Thermalquellen es sich schon die Römer gut gehen ließen.
Kap Finisterre – weiter geht´s nicht!
Keine Frage, der spirituelle Camino Português endet in Santiago. Aber wir haben noch Lust auf mehr Natur und machen einen Ausflug ans „Ende der Welt“. Hier endet die Costa da Morta: ein 140 m hoher Granitfelsen mit Leuchtturm und grandiosen Aussichten auf Bucht und tosende Wellen. Wir lehnen an einem Felsen, nur das immerwährende Rollen der Meeresbrandung im Ohr und den weiten Horizont vor Augen. Ich erinnere eines der Zitate, die in der Pilgerkirche
Santiagos im Rahmen einer Dauerpräsentation vor dem Hintergrund wechselnder Landschaften eingeblendet werden:
„Blessed are you pilgrim, if on the way you meet yourself and gift yourself with time, without rushing, so as not to disregard the image in your heart.”
Weitere Informationen:
Reiseführer: Raimund Joos, Portugal-Spanien: Jakobsweg, Caminho Português von Porto nach Santiago und Finisterre, 12. Überarbeitete Auflage 2019, OutdoorHandbuch Band 185
Reiseveranstalter: https://santiagoways.com/de : individuelle Touren auf allen Varianten des Jakobsweges, gemäß gewünschter Kilometer pro Tag werden Unterkünfte diverser Standards ausgewählt, großes Gepäck wird vom Veranstalter transportiert.