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Weimar

Weimar: Stadt der Dichter und Denker 

WeimarAuf Entdeckungstour durch eine Stadt, die eine Aura berühmter Dichterkunst verströmt, wo die Bauhaus-Ära begann und die unter nationalsozialistischer Vergangenheit leidet

Von Gerd Krauskopf

 Langsam fallen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen an diesem Vormittag auf die Herren Goethe und Schiller, die hoch oben auf einem Sockel vor dem Deutschen Nationaltheater Weimar thronen. Dabei liegt die Hauptfassade des 1791 als Hoftheater von Johann Wolfgang Goethe gegründeten Hauses noch im Schatten. Seine Bühnen mit Opern, Schauspiel und Konzerten zählen zu den wichtigsten des Landes. Und hier in diesem hohen Hause verabschiedete die Nationalversammlung 1919 die Weimarer Verfassung.Weimar

Dass Goethe einen halben Kopf kleiner war als Schiller, akzeptierten die Weimarer im Denkmalentwurf nicht. Und so genoss der Künstler Ernst Rietschel, der den Auftrag für dieses Standbild des Dichterpaars bekam, das 1857 eingeweiht wurde, seine künstlerische Freiheit. Freundschaftlich legt Goethe – der nun auf Schillers Größe angewachsen war – seine Hand auf dessen Schulter und lässt diesen sogar nach dem Lorbeerkranz greifen.

Am liebsten würde Anja aus Köln, die in Weimar Kunst, Gestaltung und Musik studiert, diesen Goethe von seinem Sockel stoßen. Sie trinkt gerade am Theaterplatz einen Kaffee an einem Tisch und echauffiert sich über die sexistischen Ausschweifungen dieses Dichters, die niemanden – außer dem Künstlerinnen- und Künstlerkollektiv der „Frankfurter Hauptschule“ Weimarinteressieren. Nach Meinung dieser Gruppe mit ihrem Projekt „LOLita“ wird sein Frauenbild, die sexistischen Inhalte in seinen Texten sowie die privaten Handlungen des sexualisierten Machtmissbrauchs völlig ausgeklammert. Und so bedauert die junge Studentin, dass sie 2019 am 270. Geburtstag von Goethe noch nicht in der Stadt gewesen ist. Sonst wäre sie sofort dabei gewesen, als das Kunstkollektiv dem Säulenheiligen der deutschen Kultur Klopapierrollen in den Garten seines Häuschens in der Nähe der Ilm geworfen hat.

Die Liste der Berühmtheiten, die in der Stadt gelebt und gearbeitet haben, ist recht lang. Darauf weisen Schilder in großzügig angelegten Parklandschaften, auf offenen Plätzen und in engen, Weimarmit Kopfsteinen gepflasterten Gassen hin: Bach, Liszt und Gropius, um nur einige zu nennen. Der Architekt Walter Adolf Georg Gropius hatte sich die Frage gestellt, wie wir in Zukunft wohnen, siedeln und zusammenleben wollen. Das war der Anfang und die Wiege von Bauhaus als Ideenschule und Experimentierfeld für Gropius und seine Mitstreiter wie Henry van de Velde oder Wassily Kandinsky. Ihr modernes Design von den unterschiedlichsten Protagonisten – zu denen auch etwa ein Drittel Frauen gehörten – eroberte von Weimar aus die Welt. Noch heute ist das von Henry van de Velde geplante Hauptgebäude der Bauhaus-Universität mit seinen riesigen, gewölbten Atelierfenstern ein Klassiker, mit denen er seinerzeit technische Maßstäbe setzte.Weimar

In den politischen Auseinandersetzungen, in denen im Jahr 1920 das Land Thüringen neu gegründet und Weimar zur Landeshauptstadt erklärt wurde, verhielten sich die Weimarer in der Mehrheit konservativ und deutsch-national. Da dauerte es auch nicht lange, bis die „Bauhäusler“ mit ihnen aneckten. Als man ihnen 1925 den Geldhahn abdrehte, zog das Bauhaus nach Dessau in Sachsen-Anhalt um.

Weimar2019 anlässlich des 100. Gründungsjubiläums von Bauhaus setzte man in Weimar den vertriebenen Klassikern mit einem Museumskubus auf fünf Ebenen ein Andenken. Noch in der Bauphase verwarf man die geplante, aber aufwendig zu pflegende Glaskonstruktion und entschied sich für eine fast fensterlose, minimalistische Betonvariante. Unterbrochen wird sie von horizontalen LED-Linien, die den Eindruck von Leichtigkeit verleihen sollen und deren Lichtbänder mit Einbruch der Dämmerung zu leuchten beginnen.

WeimarViele Künstler – unter ihnen Gropius – emigrierten wegen der nationalsozialistischen Diktatur. Und die breitete sich auch in Weimar spürbar aus. Nur einen Steinwurf vom heutigen Bauhausmuseum entfernt, entstand 1936 das einzige, fast fertiggestellte „Gauforum“, bei dessen Spatenstich Hitler 1936 anwesend war. Im Jahr 1937 wurde auf dem Ettersberg das WeimarKonzentrationslager Buchenwald errichtet. Dafür hatte sich die Stadt Weimar beworben, um die heimische Wirtschaft mit Bau- und Handwerksaufträgen zu stärken. 3500 Meter elektrischer Stacheldrahtzaun sicherten die Häftlinge. Dort – oder in 139 Außenlagern – wurden 56000 Menschen aus über 50 Ländern gefoltert, erschossen, für medizinische Versuche missbraucht oder sind elendig an Unterernährung zugrunde gegangen. Auf dem 400000 Quadratmeter Weimargroßen Areal sind nur noch wenige Gebäude wie unter anderem das Krematorium mit dem Schornstein vorhanden. Im ehemaligen Lagerhaus ist das Grauen aufgelistet. Zu lesen ist, dass Zivilisten nach der Befreiung immer wieder gerufen haben, dass sie nichts gewusst haben. Dabei gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut und schrien ihnen entgegen, dass sie neben ihnen in den Fabriken gearbeitet hatten. Unter Lebensgefahr hatten sie es ihnen gesagt, aber sie haben nichts getan. 

WeimarSchwer bewegt verlässt man diesen Ort des Grauens mit dem Linienbus wieder zurück in die Stadt. Der Ettersberg, ein Ort, an dem Schiller und Goethe gerne gewandert sind. Für sie waren der Berg, das dortige Schloss Ettersburg mit seinem Park ein „Musenhof“. Zurück in der Stadt können lange Spaziergänge im Park an der Ilm von dieser jüngsten Geschichte ein wenig Linderung bringen. Hier in diesem wunderschönen Park ist der Frühling mit seinen wärmenden Sonnenstrahlen und den ersten sprießenden Blumen ein Erlebnis. Über die Sternbrücke der Ilm Weimarführt der Weg hinauf zum Stadtschloss mit seinem riesigen, mittelalterlichen Rundturm von 1728 und dem barocken Aufsatz, der bis heute ein Wahrzeichen für Stadt und Schloss ist. Durch einen Torbogen am Burgplatz betritt man die eigentliche Altstadt mit einem Gros an Sehenswürdigkeiten wie zum Beispiel Schillers Wohnhaus an der Esplanade, einer durch Abriss der Stadtbefestigung entstandenen Promenade. Von hier aus ist es nicht weit bis zu Goethes Wohnhaus am Frauenplan. Auf diesem schönen, weitläufigen Platz kann man in der Frühlingssonne am späten Nachmittag ein Glas Wein trinken, was Goethe ebenfalls liebte. Heute – lieber Dichterfürst – wärst du reif für #MeToo.

 

Weitere Informationen:

Tourist Information Weimar, Markt 10, 99423 Weimar, Tel. 03643/7450, www.weimar.de

 

 

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