Wandern in denWaldkarpaten sehr beliebt
Biezszcady heißen die Waldkarpaten auf Polnisch – ein wahrer Zungenbrecher. Vor allem der Nationalpark im Südosten des Landes hat es den Wanderern angetan.
Neben markierten Wanderwegen erwarten die Touristen eine legendäre Schmalspurbahn, urige Gasthäuser und ein mit regionalen Bauten bestücktes Freilichtmuseum.
Von Norbert Krauss
In den Karpaten ist der Bär los.
In den Wäldern sind überall Warnschilder angebracht mit Hinweisen, wie man sich verhalten soll, wenn einem plötzlich „Meister Petz“ gegenüberstehen sollte. „Im seltenen Fall eines Zusammentreffens Augenkontakt vermeiden, ruhig zurückgehen“, heißt es da unter anderem. Doch keine Angst: In den vergangenen Jahren ist es nirgendwo zu einem Zwischenfall zwischen Mensch und Tier gekommen. Die Tafeln sind eine reine Vorsichtsmaßnahme.
Wanderer stapfen in den Waldkarpaten, der Biezszcady im Südosten Polens, durch dichte Buchenwälder. Sie sind am Vormittag in Ustrzyki Górne aufgebrochen, um durch den mit einer Fläche von mehr als 29 000 Hektar größten polnischen Gebirgs-Nationalpark den Berg Tarnica zu erklimmen. Der erst rot, dann gelb markierte Weg ist nach zwei Tagen Regen aufgeweicht und nur mit richtigem Schuhwerk, das heißt mit rutschfestem gutem Profil, begehbar. Wegen der Schulferien ist die Strecke – vor allem mit Polen – dicht bevölkert. Wanderführer Leszek erklärt, dass Polen, die Ukraine und die Slowakei sich die Ostkarpaten teilen. An der Grenze zur Ukraine herrsche immer noch kräftiger Schmuggel von Zigaretten, Alkohol und sogar Menschen. Oberhalb der Waldgrenze von 1150 Metern blühen am Wegesrand üppig Wiesengräser und -pflanzen, darunter blauer Enzian.
Für den zum Teil beschwerlichen Aufstieg zum 1346 Meter hohen Gipfel werden die Wanderer bei klarem Himmel mit einem weiten Blick bis in die Ukraine belohnt. Das Gipfelkreuz wurde im Andenken an Papst Johannes Paul II. errichtet, der in diesem Gebiet als Bischof und später als Erzbischof gern wanderte. In dieser weitgehend unberührten Natur leben viele gefährdete Tierarten, so Steinadler und Eulen. Im Parkgebiet wurden alle großen heimischen Raubsäugetierarten nachgewiesen: Braunbären, Wölfe, Wisente, Luchse; außerdem wird hier eine alte, aussterbende Pferderasse, das Huzulenpferd, gezüchtet. Dass die Waldkarpaten ein Rückzugsgebiet für verschiedene Tierarten ist, liegt auch daran, dass die Region extrem dünn besiedelt ist.
Am Ufer des bis zu 60 Meter tiefen Solina-Stausees, der 1968 geflutet wurde, zeigen die Waldkarpaten ein anderes Gesicht: Der größte Stausee Polens, der unter anderem zum Betrieb eines Wasserkraftwerks genutzt wird, ist ein beliebtes Ausflugsziel. Hier finden sich Hotels, Ferienanlagen, Campingplätze, Souvenirstände, Restaurants und Karussells. Um das 150 Kilometer lange Seeufer zu umrunden, bedürfte es einer Wanderung von zwei Wochen. Außerdem übt der Stausee eine starke Anziehungskraft besonders auf Segelfans aus.
In Majdan starten am Morgen zwei Züge der legendären Schmalspurbahn durch die Biezszcady. Der eine wird von einer Dampflok gezogen, der andere von einer Diesellok. Bis 1960 dienten die Waggons zum Holztransport. Seit dem Jahr 1997 werden die Gleise touristisch genutzt. Die Territorien beidseits der kurvigen Strecke stehen unter Naturschutz. Wenn es während der zweistündigen Fahrt bergauf geht, zischt, rattert, keucht und pfeift die 50 Jahre alte Dampflok. Da sich die in den Sommermonaten täglich verkehrenden Züge mit einer Geschwindigkeit von weniger als zehn Stundenkilometern fortbewegen, könnte man aussteigen und Pilze sammeln. Am Zielpunkt Przyslup finden die Passagiere Verkaufsstände mit Speisen und Getränken vor. Direkt im Wald daneben befindet sich die Grenze zur Slowakei, markiert von einem Grenzpfahl und Grenzsteinen. „Hier ist die Wasserscheide“, sagt der 63-jährige Wanderführer Leszek. „Alle polnischen Flüsse fließen in die Ostsee, alle slowakischen ins Schwarze Meer.“ Nachdem die Lok rangiert hat, geht es nach 20-minütiger Pause wieder zurück an den Ausgangsort Majdan.
Das Karpatenvorland war jahrhundertelang ein Grenzland von Völkern, Kulturen und Religionen, die sich gegenseitig durchdrangen und bereichert haben. Unweit der ukrainischen Grenze und am Rande der Biezszcady liegt die mehr als tausend Jahre alte Stadt Przemysl. Stadtführer Stanislaw erzählt die Legende vom Fürsten, der auf der Jagd einen Bären erblickte und auf diesem Hügel die Stadt gründete, die seitdem den Bären im Wappen führt. Die polnischen Könige herrschten hier seit dem 14. Jahrhundert; die Festung ist als Ruine erhalten. Das Schloss wurde nach 1340 auf dem Schlosshügel an der Stelle einer älteren Burg errichtet. Im 16. Jahrhundert wurde es im Renaissancestil völlig umgebaut. Im Museum für Kirchenglocken sind Erzeugnisse von zwei Glockengießereien ausgestellt. Tabakpfeifen ist ebenfalls ein Museum gewidmet; acht kleine Familienbetriebe produzieren sie heute noch.
In der 40 000 Einwohner-Stadt am Ufer des Flusses San werden auf einem großzügigen Geländ 160 Holzobjekte der Volksbauweise ausgestellt. Gezeigt werden Holzkirchen, Häuser und Wirtschaftsgebäude aus der Zeit vom 17. bis zum 20 Jahrhundert. Die Bewohner der Häuser waren die Lemken und Bojken, ruthenische Völker, die früher in den Waldkarpaten und in den Beskiden beheimatet waren und in Folge des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat vertrieben wurden, und die sogenannten Talbewohner und Bewohner der Hügellandschaft, die heute noch im Südosten Polens leben. Im Sanoker Freilichtmuseum wurden ganze Dörfer der einzelnen Volksgruppen nachgebildet und können mit einem Museumsführer auch innen besichtigt werden.
Zu den schönsten Objekten gehören die orthodoxe Holzkirche aus dem Bojken-Dorf Grąziowa mit ihrer beeindruckenden Ikonostase und die orthodoxe Kirche aus Rosolin. Eine Besonderheit der Rosolin-Kirche ist, dass sie keine für orthodoxe Kirchenbauten typische mit Ikonen geschmückte Wand, sondern barocke Altäre hat. Die Schmiede stammt aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Bauernhaus von 1860 hatte nur einen Wohnraum. Die Eltern schliefen im Bett, die Kinder auf Bänken. Elektrizität gab es erst in den 1970er-Jahren. Die Wassermühle von 1880 ist noch heute in Betrieb. Ähnliche Häuser aus Tannenholz oder mit weißer Farbe verputzt sind sogar immer wieder in den Dörfern außerhalb des Museums zu sehen.
Der Bär erscheint im Restaurant Chata Wedrowca in Wetlina den Besuchern nur auf den Etiketten einer Biersorte. Zusätzlich werden viele Spezialbiere angeboten. Die Inhaber Ewa und Robert Zechowski haben vor 25 Jahren mit dem Betrieb begonnen, der von Mai bis Oktober geöffnet ist. Die Speisekarte ändert sich täglich; auf ihr findet man ausschließlich regionale Produkte. Spezialitäten sind Lammfleisch und Pfannkuchen mit Blaubeeren. Das Haus zählt in der jüngsten Ausgabe des Gault&Millau Polen mit 12,5 Punkten und einer Mütze zu den besten Restaurants in Polen.
Im Land der Biertrinker ist Wein eine Rarität. Das urige Gasthaus Starym Siolo in Wetlina offeriert regionale und internationale Weine. Inhaber Aleksy Wójcik kredenzt weißen Solaris und roten Rando aus Lublin. Die Gäste kämen zum Teil extra wegen der Weine, sagt er und zeigt seinen kleinen Weinkeller, in dem auch Weine aus Deutschland lagern. Die seltenen Tropfen haben allerdings auch ihren stolzen Preis.
Wo der Gewerkschaftsführer Lech Walesa im Jahre 1982 von der kommunistischen Regierung fast sechs Monate lang interniert war, steht heute auf einem Hügel im malerischen Biezszcady-Gebirge das Vier-Sterne-Hotel Arlamów. Der „die Residenz“ genannte modernisierte historische Haus ist mit dem Neubau verbunden. Vor dem Gebäudekomplex startet ein Hubschrauber mit Gästen aus Dubai, die auf die Jagd gehen wollen. Das mitten im Wald gelegene Luxushotel verfügt über 250 Betten. Im Außenbecken der riesigen SPA- und Wellnessanlage genießen zahlreiche Besucher das 36 Grad warme Wasser und den Panoramablick. Das ist Entspannung pur! Nachts im Bett träumen die Gäste dann vielleicht von Braunbären. . .
Weitere Informationen: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Hohenzollerndamm 151, 14199 Berlin, Tel. 030/21 00 92-0, Fax 030/21 00 92 14, E-Mail:
Anreise: Mit dem Flugzeug: Direktflüge von diversen deutschen Flughäfen nach Krakau. Weiterfahrt von dort mit Mietwagen. Mit der Bahn: Von Stuttgart nach Krakau Fahrzeit mindestens 15 Stunden. Mit dem Auto: Auf der Autobahn über Prag und Brünn nach Krakau.
Unterkunft: Hotel Arlamów in Arlamów, Tel. 00 48/13 443 10 00, www.arlamow.pl. Hotel SPA Chutor Kozacki in Lukowe, Tel. 00 48/13 465 92 67, www.chutorkozacki.pl
Restaurants: Chata Wedrowca in Wetlina, Tel. 00 48/500 22 55 33, www.chatawedrowca.pl. Starym Siolo in Wetlina, Tel. 00 48/503 124 654, www.staresiolo.com
Sehenswürdigkeiten: Nationalpark, Tel. 0048/13 461 03 50. Schmalspurbahn in Majdan, Tel. 0048/13 468 63 35. Freilichtmuseum in Sanok, http://skansen.mblsanok.pl