Polens Vorkarpaten
Eine urwüchsige Naturlandschaft
mit einer vielschichtigen
Kulturgeschichte
Von Gerd Krauskopf
Während ein verführerischer Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase steigt, fällt der Blick auf einen überdimensional dicken weißen Walross– Schnauzer. Und im nächsten Moment bemerke ich in diesem Gesicht ein paar freundlich leuchtende Augen und eine entgegengestreckte Hand, die mich mit festem Griff herzlich willkommen heißt. Es ist Roman, der unsere kleine Gruppe an diesem späten Nachmittag auf seinen Hof in Dźwiniacz Dolny eingeladen hat zum traditionellen Brotbacken im Steinofen.
Und dann, unter unseren Augen, werden die nächsten Brotleiber auf einem Bett von Meerrettich- und Kohlblättern von seinem Freund Tadeusz Łabuda auf einem langen Holzbrett in den mit abgelagertem Tannenholz beheizten Ofen hineingeschoben. Und mit einem riesigen Messer schneidet sich später jeder eine dicke Scheibe eines bereits fertigen Brotes ab und bestreicht sie mit köstlichem Griebenschmalz, streut Salz darauf und genießt jeden Bissen mit einem zufriedenen Seufzer. Derweil hält Roman bereits für jeden von uns ein gut gefülltes Glas Wodka auf einem Tablett bereit.
Und irgendwie kommen mir in diesem Moment die Bilder von Krakau in den Sinn. Dort, wo wir unsere Reise begonnen haben. Mit Nächten in stimmungsvoll rauchigen Cafés und Kneipen, den alten Kellergewölben mit ihrem begnadeten Jazz und am Tage die Gassen mit ihrem Kopfsteinpflaster. Auf denen wir das Fluidum aus Barock, Gotik, Renaissance und ein wenig Jugendstil geatmet haben.
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Und bei solch einer Gasse kommt mir der pausbäckig freundlich ältere Herr wieder vor Augen, der als „der brave Soldat Schwejk“ mit dieser grauen k.-u.-k.-Uniform verkleidet auf einem Stuhl in der Florianska Strasse in Krakau saß und ein großes Werbeschild vor sich hielt, das mit einer Spitze auf sein Restaurant deutete. Ich hätte in diesem Moment nicht mit seinem angepriesenen, vornehmen Restaurant tauschen wollen.
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An diesem Nachmittag stehen wir – zurück aus den Tagträumen – nun hier im Südosten von Polen in der Region Podkarpackie, dem Karpatenvorland, an der Grenze zur leidigen Ukraine, im Bieszczady-Nationalpark, dem drittgrößten Nationalpark dieses Landes. Kluge, weitsichtig Verantwortliche haben hier im Herzen Osteuropas ein riesiges Stück Naturwald sich selbst überlassen. Dort finden wir kleine, urwüchsige Hofschaften, uralte traditionelle Holzkirchen und begegnen einem freundlichen Menschenschlag.
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Wir spazieren am nächsten Tag durch eine menschenleere Urlandschaft, in der Bäume vermodern dürfen und eine Pflanzengesellschaft ihre vielfältige Pracht ohne großartige menschliche Eingriffe entfalten kann. Hier scheint bei einem langen Spaziergang die Zeit still zu stehen, und ein herrliches, nicht enden wollendes Urlaubsgefühl, beflügelt meine Seele.
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Inmitten dieser dichten Buchenwälder treffen wir dann auch auf eine alte Schmalspurbahn, die Ende des 19. Jahrhunderts als wichtigstes Transportmittel die abgeschiedenen Dörfer untereinander verbunden hat und die damals für österreichische Unternehmer Holz aus den Bieszczader Wäldern transportierte. Heute schwankt die alte rumänische Diesellok LYd2 auf den unebenen schmalen Schienen in langsamem Tempo für Touristen wie uns in einer Fahrstunde von Majdan nach Przysłup durch den Ciśniańsko-Wetlinski Landschaftspark.
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Dann staunen wir nicht schlecht über ein weiteres Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Ein Erdölmuseum in Bóbrka bei Krosno, was wir eher im arabischen Raum vermutet hätten. Bereits 1854 wurde hier das erste Erdöl aus der „Felsölgrube“ gefördert. Und so blicken wir jetzt verdutzt in einen tiefen, pechschwarzen Schacht, auf dessen Öl-Oberfläche fette, aufsteigende Luftblasen deutlich zu erkennen sind. Noch heute werden aus dem ältesten Erdölschacht der Welt gut 60 Liter Rohöl täglich gefördert.
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Wenig später lässt sich unser fotogener Reiseleiter Stanisław geduldig mit seinem dicken Bart, dem roten Hut und roter Jacke – seiner landestypischen Tracht – vor der ältesten Holzkirche Polens ablichten. Jeder möchte ihn so positionieren, wie es ihm passt. Und der nutzt diese Gelegenheit und erzählt derweil, dass die gotische Kirche St. Maria Himmelfahrt in Haczów im 14. Jahrhundert von deutschen Einwanderern gänzlich aus Lärchenholz gebaut worden und heute von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommen worden ist. Vor den kommunistischen Behörden in der Stalinzeit gerettet, freut sich heute die römisch-katholische Gemeinde unter Priester Kazimierz Kaczor auf die regelmäßigen Gottesdienste.
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Tage später steht die hübsche Kleinstadt Sanok auf unserem Besichtigungsprogramm. Wir haben das „Land der wilden Tiere“ hinter uns gelassen, wo sich Braunbär, Lux, Wolf und
Wisent begegnen, wie uns Lemken, die Karpaten-Bergbewohner, erzählen. Sie sprechen aber auch von den vielen Räuberbanden, die 500 Jahre lang bis hinein ins 19. Jahrhundert aus den tiefen Wäldern kommend hier im Sommer Händler ausgeraubt haben, die auf der wichtigen Weinstraße in Richtung Ungarn unterwegs waren.
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In Sanok angekommen sehen wir auch schon wieder unseren braven Soldaten Schwejk, der damals von Tschechien kommend über Österreich, Ungarn, die Slowakei und Polen zur Ukraine gezogen ist. Diesmal sitzt er aus Bronze gegossen unmittelbar vor einem interessanten Dessous-Laden in der 3.-Mai-Straße mit blank polierter Nase. Und die hat er, weil sich die Frauen auf seinen Schoß setzen und an seiner Nase reiben, was ihnen Glück bringen soll. Seinerzeit soll er oft an diesem Ort gesessen haben, um auf seinen Leutnant zu warten, der sich in einem benachbarten Bordell vergnügt haben soll.
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Ein Vergnügen gänzlich anderer Art sind die Orgelklänge der Maria Verkündigung Basilika in Leżajsk. Da kommen wir gerade noch rechtzeitig in die Messe, um dem einmaligen Klangvolumen einer mächtigen Orgel aus dem 17. Jahrhundert zu lauschen, die ohne elektronische Unterstützung auskommt und die jährlich Künstler von Weltruf zu internationalen Orgel-Festspielen anzieht.
Nach solchen wunderschönen Klängen zieht es uns an diesem frühen, letzten Abend zum nahegelegenen Fluss San, der ein Nebenfluss der Weichsel ist. Während aus einem Rucksack ein paar Flaschen Bier der Brauerei Leżajsk gezaubert werden, schauen wir ein paar Meter weiter Angler vor einem spektakulären Sonnenuntergang zu. In diesem Moment raunen alle, dass sie den verführerischen Duft von frisch gebackenen Brotlaibern aus dem traditionellen Steinofen noch in der Nase haben und gerade jetzt vermissen. Der Freund von Roman, Tadeusz Łabuda, hatte sie aus dem Ofenhaus heraus geholt. Das hatte uns am Anfang der Reise so fasziniert.
Dahindösend – während sich das Wasser der San lachsfarben spiegelt – denke ich, dass es doch schön wäre, gleich noch ein paar Tage dranzuhängen.