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Aserbaidschan: Aufbruch im Kaukasus dank sprudelndem Öl

Aserbaidschan

Das kleine Land zwischen Großem Kaukasus und Kaspischem Meer beeindruckt mit reichlich wilder Natur, geschichtsträchtigen Orten und einer geradezu atemberaubenden Modernität

Von Gerd Krauskopf

Fast senkrecht fällt die Felswand im Großen Kaukasus hunderte Meter hinunter zum reißenden Fluss Girdmantchag.

Mutige Arbeiter haben im Jahr 1983 der Wand eine abenteuerlich schmale, einspurige Straße abgerungen. Sie führt im Nordwesten Aserbaidschans von der einstigen Seidenstraße hin zum Dorf Lahic auf 1400 Metern Höhe. Bis heute hat sie noch keine Abgrenzung und ist für Fahrer Aserbaidschanmit schwachen Nerven nicht geeignet. Bei Regen ist sie wegen herunterfallenden Felsbrocken gesperrt. Rustam ist einer der Straßenbauer, der von Anfang an dabei war. Jetzt sitzt er in der kleinen, einfachen Stube von Wirt Polad und isst mit seinen fünf Kollegen zu Mittag. Sie bekommen Hammelfleisch vorgesetzt, spülen aber erst einmal mit ein paar Wodka den Staub hinunter. Der 45-jährige Aserbaidschane mit kantigem Gesicht, sonnengegerbter Haut und teils grauem Vollbart kommt bei seinem spitzbübischen Lächeln ohne die Backenzähne aus. Dann erzählt er, dass er mit seiner Frau und vier Kindern weit von hier entfernt in den Bergen wohnt Aserbaidschanund nur am Wochenende nach Hause kommt. Acht Stunden arbeitet er am Tag und sagt stolz: „Meine Überstunden bekomme ich extra bezahlt. Da freut sich meine Familie.“ Dabei erhebt er ein neues Glas Wodka in Richtung des Bildes vom ehemaligen, charismatischen Präsidenten Heydər Alijev, dessen Konterfei eingerahmt an der Wand hängt. Genussvoll schüttet er einen letzten Wodka auf sein Wohl hinunter. Wohl wissend, dass man dem verstorbenen Präsidentenden Wohlstand im Land verdankt. Er, der nicht gekleckert, sondern geklotzt hat beim Ölboom.  

Ein paar Meter weiter, auf der mit unregelmäßig runden Steinen gepflasterten Straße bessert Rza Miyev in seiner kleinen dunklen Werkstatt einen Kupferkessel eines Kunden aus. Der Kunstschmied in der siebten Generation ist ein Meister seines Handwerks. Seine Vorfahren kamen aus dem Iran und hatten immer als Kupferschmiede gutes Geld verdient. Bis die Sowjetunion in den 1930er Jahren alle Nomaden mit ihrem Vieh, die diese Töpfe benötigten, dazu zwang, sesshaft zu werden. Heute hat er nur noch ein bescheidenes Einkommen und lebt Aserbaidschanmit seinen kunstvollen Arbeiten auch von kleinen Verkäufen an Touristen. Zurück auf der einstigen Seidenstraße empfängt Sheki zwei Autostunden später unter ständiger Begleitung der weißen Berggipfel des Großen Kaukasus und dicht bewaldeter Flusstäler die drei deutschen Gäste mit einem riesigen Alijev-Poster. Die zweitälteste Stadt des Landes war vor 200 Jahren Sitz eines unabhängigen Khanats, eines uns bekannten Fürstentums ähnlich. Heute hat man seinen einstigen Sommerpalast — ein Kleinod, das Orient und Grazie vereint — mit Erkern und Verzierungen liebevoll restauriert. Vor dem verschachtelten Muster der Jagd- und Kriegsszenen in den Mosaiken seiner Fassade steht eine Gruppe junger Schönheiten mit High Heels laut kichernd und schießt jede Menge Selfies. Auffallend auch bei diesen jungen Damen, dass kopftuchtragende Frauen in diesem islamisch geprägten Land die absolute Ausnahme sind.

Omnipräsent ist das Alijev-Poster, sowohl bei der Ausfahrt aus der Stadt als auch bei der Einfahrt in Ganja, der zweitgrößten Stadt des Landes. Sie stieg im 10. Jahrhundert zur AserbaidschanHauptstadt eines Khanats auf, wovon noch heute erhaltene Häuser, Türme, Moscheen und Brücken erhalten sind. Besonderes Augenmerk der deutschen Gäste gilt einem Haus, das nicht nur aus Ziegelsteinen, sondern auch mit 48.000 Glasflaschen und bunten Steinen gebaut worden ist. Gewidmet hat es der Bauherr seinem Bruder, der seit dem Zweiten Weltkrieg Aberbaidschanvermisst wird. Nicht weit von Ganja entfernt befindet sich inmitten der Berge die Kleinstadt Göygöl, die noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts Helenendorf hieß. Gegründet hatten den geschniegelten Ort mit den breiten Straßen und schmucken Holzhäusern ausgewanderte, fleißige Weinbauern aus Württemberg Anfang des 19. Jahrhunderts. Zar Alexander I. lockte Aserbaidschandamals mit eigenem Land in sein Südreich. Eines dieser Holzhäuser vom 2007 verstorbenen letzten deutschen Nachkommen soll in Kürze ein Museum zur Erinnerung an die „Deutschen“ hier in Aserbaidschan werden.

Auf dem Weg zurück in die Hauptstadt Baku staunen die Gäste auf der Autobahn nicht schlecht. Da bieten Gemüsehändler neben Fischverkäufern ihre Waren an. Ein moderner Polizei-BMW kommt ihnen auf dem linken Streifen ganz selbstverständlich entgegen und ein Radfahrer strampelt auf dem rechten Streifen seines Weges. Da fallen die vielen Alijev-Poster in der Steppenwüste schon gar nicht mehr auf. Bevor jedoch die Hauptstadt Baku naht, steht Aserbaidschanein Besuch bei Schlammvulkanen in Qobustan auf dem Programm. Sie befinden sich auf hohen Hügeln, die nur von geübten Fahrern mit ihren Fahrzeugen über unwegsame Pisten erreicht werden können. Dort blubbern, sabbern und schmatzen kleine und große, kühle Gas-Schlammblasen, einer schmutziggrauen Suppe ähnlich, vor sich hin. Es sind mehr als die Hälfte aller weltweit. Dabei wird der feuchte Schlamm durch Gas aus der Tiefe an die Oberfläche gedrückt.

Nicht so spektakulär, dafür aber Weltkulturerbe, sind die nicht weit von dort entfernten 5000 Jahre alten prähistorischen Felszeichnungen von Qobustan. Über 6000 hat man bisher im Aserbaidschangleichnamigen Nationalpark entdeckt. Die wie Feuerzungen spiralförmig auf einem Hügel aufstrebenden „Flame Towers“ sind schon weit vor Baku – dem Urlaubsziel der Gäste – sichtbar. Schnell trumpft Baku mit geradezu atemberaubender Modernität, dank reichlich vorhandenem Öl, auf. Angefangen zum Beispiel vom Handelszentrum, das einer geöffneten Blüte — der Oper von Sydney als Vorbild — nachempfunden ist. Nur einen Steinwurf weiter das AserbaidschanTeppichmuseum mit kostbaren Exponaten, dessen Gebäude einem eingerollten Teppich gleicht. Das Heydar Aliyev Cultur Centre, nach dem beliebten Patriarchen benannt und dort auch glorifiziert, setzt der gigantischen Architektur jedoch die Krone auf mit seinen fließenden Formen. Da kommt dem Gast die Ähnlichkeit mit dem berühmt geschwungenen weißen Kleid der Monroe in den Sinn. Abends erzählen die schön angestrahlten Villen und Prachtbauten vom AserbaidschanAnfang des Ölbooms, der deren Besitzer wie zum Beispiel die Familie Nobel zwischen 1870 und 1900 reich machte. Zur Abrundung des Stadtbildes gehören aber auch die sympathischen Menschen in den sicheren und sauberen Straßen, den Teestuben und Hamams. Und in einer solchen gemütlichen Teestube lässt der Gast zum Abschluss seines Besuches die Stationen noch einmal Revue passieren, in denen der viel gepriesene große Steuermann bereits präsent war.Aserbaidschan

Weitere Informationen:

Für Aserbaidschan ist ein Touristenvisum nötig, das in der Regel vom gebuchten Veranstalter eingeholt wird.

Event-Tipp: Erleben Sie am 28. Mai in Baku den Tag der Republik. Der Nationalfeiertag erinnert an die erste Republik von 1918 bis 1920.

Gebeco bietet die 9-tägige Erlebnisreise „Im Land des Feuers“ ab 1.895 Euro an, www.gebeco.de

 

Dr. Tigges bietet eine Studienreise „Durch den Kaukasus von Baku bis nach Jerewan“, 13-Tage ab 2.695 Euro an. Beratung unter Tel. 0431/5446731.