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Tessin im Frühling

Tessin im Frühling: Der ewige Traum vom Süden 

Tessin, Locarno

 
Samtig-milde Frühlingsluft, blauer Himmel, köstlicher Wein, gutes Essen und eine große landschaftliche Vielfalt zeichnen das Bel Ticino aus

Von Gerd Krauskopf

 

  O bel Ticino! Das sind die obligatorischen Palmen und Bananenstauden und die schamlos in allen Farben prunkenden Blüten. Die erwarten eine kleine siebenköpfige Reisegruppe, sobald sie dem 57 Kilometer langen schwarzen Loch, dem 2016 eingeweihten Gotthard-Basistunnel und längsten Eisenbahntunnel der Welt — entkommen ist. Was auf der Eingangsseite des Tunnels im Kanton Uri noch schwerfällig Altdorf heißt, das heißt auf der Ausgangsseite schon leicht und luftig im Italienischen, dem Tessiner Teil der Schweiz, Biasca. 

BellinzonaUnd nur ein Viertelstündchen benötigt der Zug der Schweizer Bahn IC 21, bis er die Burgenstadt Bellinzona erreicht. Deren dreifach gestaffelte Befestigungsanlage sollte im Mittelalter den Eidgenossen die Expansion Richtung Süden verwehren. Doch 1503 tauschte Bellinzona die Mailänder Herrschaft freiwillig gegen jene der Schweizer Urkantone ein, worauf das Wehrsystem gegen Süden und gegen Mailand gekehrt wurde. Heute gehören die antiken Gemäuer der drei Burgen — Castelgrande, Castello di Montebello und Castello Sasso Corbaro — zu den bedeutendsten Zeugen mittelalterlicher Befestigungsbaukunst im Alpenraum. Sie wurden im Jahr 2000 ins Unesco-Welterbe aufgenommen. Neben der „Skyline“ der mächtigen Festungsanlagen hat Bellinzona eine wunderschöne, oft unterschätzte Altstadt, die zu Recht den Ruf als italienischste Stadt der Schweiz hat. 

 Auch gastronomisch hat das Bel Ticino einiges zu bieten. So ist die Küche in der italienischsprachigen Region der Südschweiz geprägt von der Vielfalt, die sich aus dem Zusammenspiel von Nord und Süd ergibt. Viele Einflüsse der alpinen Bergwelt verschmelzen mit dem Mediterranen der italienischen und französischen Küche. Waren doch auch die Franzosen unter Napoleon anfangs des 19. Jahrhunderts hier anwesend. 

Tessin

 Einst war die Tessiner Küche sehr arm. In den Tessiner Tälern war das Grundnahrungsmittel die Kastanie. Man kannte Kastanienmehl, Kastanienpaste, Creme aus Kastanien und sogar Kastanienbier. Heute jedoch wird mit den Produkten der Küche viel gespielt und die Kastanie gilt im Herbst als Delikatesse. Jetzt im Frühling ist jedoch das kostbare Tessiner Maismehl, das Farina Bóna – das gute Mehl aus dem abgeschiedenen kleinen Dorf Vergeletto im Valle Onsernone - bei Spitzenköchen sehr gefragt. 

Tessin

 Einer der herausragenden Köche ist Chefkoch Carlo Ponti Greppi des Restaurants La Fontana. „Für mich brauchen gute Produkte keine Schnörkel“, gesteht der Küchenchef im altehrwürdigen Hotel Belvedere Locarno. Er hat die individuelle Klasse, gute und frische heimische Produkte in hervorragende Gerichte zu verwandeln. Das Tessiner Restaurant ist sowohl für Einheimische als auch für Touristen ein absolutes Muss.

TessinAuch der Wein aus dem Bel Ticino — und hier besonders im Mendrisiotto, dem milden, südlichen Teil des Tessin mit sanfter Landschaft und lieblichen Hügeln umrahmt — ist ein stolzes Produkt von absoluter Spitzenqualität und verwöhnt den Gaumen. Die „Cantina Sociale Mendrisio“ ist der einzige genossenschaftlich organisierte Winzerbetrieb des Kantons und wurde 1949 gegründet. Seit vier Jahren leitet sie Rolf Homberger, der stolz darauf ist, dass seine Rotweine qualitätsmäßig internationales Niveau erreichen. 

Tessin153 Winzer liefern ihre Trauben hier an, davon bringen 116 Nebenerwerbswinzer sie in orangefarbenen Kunststoffkisten, die hier liebevoll „Giovanna“ heißen. „Und diese Hobbywinzer liefern ihre Trauben hier bei uns genauso stolz ab wie 37 hauptberufliche Winzer, die mit ihren vollbeladenen Traktorgespannen vorfahren.“ 

 Die Società Cooperativa ist berühmt, vor allem für die Herstellung des Tessiner DOC Merlot. „Das Angebot an Weinen“, so der Direktor, „umfasst Weißweine, Rotweine und den einzigen Roséwein, den der Keller herstellt“, was einen Hauch von Modernität hinzufügt, aber immer die Tradition bewahrt. Dabei sind die Weine wie der „Ticino Doc Merlot Viti“ und „La Trosa“, deren Reben mindestens 40 Jahre alt sind, ausdrucksstark, terroirgeprägt und handwerklich auf höchstem Niveau.

Auch Lugano, die größte Stadt der Ferienregion am Nordufer des Luganersees, ist Bel Ticino. Zwischen mächtigen Bergen und dem See eingezwängt, liegt der verkehrsfreie historische Stadtkern mit zahlreichen Bauten im lombardischen Stil - mit exklusiven Museen, Banken, tollen TessinRestaurants und Bars, Geschäften mit Auslagen nur vom Feinsten. Mondäne Italianità unter betäubend blauem Himmel. Während in der Nacht der Antennenmast vom mächtigen Berg San Salvatore weit über den See blinkt, erinnert er ein wenig an die monumentale Christusstatue auf dem Berg Corcovado in Rio de Janeiro.
 

Am nächsten Tag führt der Weg die kleine Gruppe von Lugano nach Locarno, einem weiteren Ort mit magischem Namen. Dort geht es per Seilbahn steil hinauf zum Felssporn Sacro Monte, auf dem in eindrucksvoller Pracht der Wallfahrtsort Madonna del Sacco mit seinen Kapellen thront. Seine Gründung geht auf das Ende des 15. Jahrhunderts zurück. Noch heute ist der Gebäudekomplex des Sacro Monte eines der wichtigsten Pilgerziele im Schweizer Kanton Tessin. 

TessinVon einer aus Glas gebauten, modernen Aussichtsplattform, die frei über den Fels hinaus hängt, fällt der Blick über die Stadt am Nordufer des Lago Maggiore mit der mächtigen Piazza Grande, eingerahmt von hübschen Altstadthäusern aus dem 19. Jahrhundert. Von dort wandert der Blick hinüber zu den Bergen, die jetzt im Frühling noch ihre weißen Mützen tragen. Tief unter der herrlichen Bergwelt stößt die Afrikanische Platte gegen die Europäische, wobei die erstaunten Gäste erfahren, dass sie gerade auf der afrikanischen Seite stehen.

TessinZurück in Locarno geht in der Altstadt kein Weg vorbei an der köstlich nach frischen Backwaren duftenden Pasticceria Marnin von Arno und Franca Antognini. Der dortige Tea Room auf der Piazza San Antonio lädt zu einer kleinen, genussvollen Pause ein. Dabei zergeht die Praline Camelia – eine Schokopraline mit einem Herz aus grünem Tee von der Teeplantage auf dem Monte Verità in Ascona – bei einem Cappuccino auf der Zunge. 

TessinMit dem Linienbus ist es nur eine kurze Fahrt zum Postkartenidyll Ascona, wo ein kleines Fährboot die Gruppe hinüber zu den Brissago-Inseln schippert. Nur eine der beiden Inseln, die Isola Grande, ist zu besichtigen. Dort wartet bereits die aus Budapest stammende Gartenbauingenieurin Ida Szöllösi, um die kleine Reisegruppe über die Wege des Botanischen Gartens mit über 2000 – oft seltenen – subtropischen Pflanzenarten zu führen. Dabei fallen die Blätter des kleinen Schierlings im Heilpflanzengarten ins Auge, der einer Pflanzengattung der Karotte täuschend ähnlich sieht. Nur zählt er zu den giftigsten einheimischen Pflanzenarten und ist am Beet auf einem kleinen Schild mit drei Totenkreuzen versehen. 

TessinIn der mehr als hundertjährigen Geschichte ließ einst die in Russland geborene Baronin Antoinette de Saint Léger auf den Überresten eines Klosters ein Haus bauen. Und im dortigen Café diskutiert die Gruppe bei einem Cappuccino leidenschaftlich über die Gefahr des frei zugänglichen Schierlings und erfährt dabei von Ida, dass das Fleisch einer Kuh, die die Blätter des Schierlings gefressen hat, noch nach ihrer Schlachtung vergiftet ist.Tessin

Vergiften lassen will sich die kleine Reisegruppe aber nicht, sondern verschwindet nordwärts aus dem Bel Ticino. Diesmal wählt sie mit der Bahn nicht den kürzeren Weg durch den Gotthard-Basistunnel, sondern verlässt das Sehnsuchtsziel auf der eine gute Stunde längeren Bahnfahrt über die historische Bergstrecke. Belohnt wird sie mit wunderschönen Aussichten und dem höher gelegenen, über 140 Jahre alten, 15 Kilometer langen Gotthardtunnel vom leicht und luftig klingenden Airolo im Tessin zum schwerfällig klingenden Göschenen im Kanton Uri.

 

Weitere Informationen:

Ticino Turismo, Via C. Ghiringhelli 7, 6501 Bellinzona, Schweiz, Tel.0041/918257056, www.ticino.ch

 

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