Schiffsreise

„Viking Lomonosov“ ahoi!

Leinen los zum Erlebnis

Schwarzmeer und Kosakenland

 

„Viking Lomonosov“ im Hafen von Odessa, Ukraine

Vasiliys Augen strahlen. Die Ausstrahlung dieses ehemaligen Afghanistan-Offiziers und Tschernobyl-Veteranen in Sewastopol steht für die Freundlichkeit der Menschen des Landes. Von diesen freundlichen Menschen wie Vasiliy - von dem ich später berichten werde - und dem wunderschönen Land am Schwarzen Meer will ich erzählen. Da fahre ich mit dem Vier-Sterne-Fluss-Kreuzfahrtschiff, der „Viking Lomonosov“, in 12 Tagen von Odessa quer übers Schwarze Meer zur Krim hinüber nach Sewastopol und Jalta. Von dort führt mich die „Viking Lomonosov“ über den Dnjepr mit einigen Stopps hinauf bis nach Kiew. Da freue ich mich auf dieses ferne Land mit bestimmt vielen neuen Eindrücken, interessanten Menschen hier an Bord und an Land.

Und so stehe ich an diesem Freitag erst einmal ziemlich verärgert in Odessa im Flughafengebäude am Gepäckband und vermisse mit 15 anderen Gästen mein Gepäck. Ganz unkonventionell managet das mit zig Behördenformularen kurzerhand meine neue Viking LomonosovReiseleiterin Svetlana für uns alle und schon werden wir von Jurij mit dem Bus zum gebuchten Flusskreuzfahrt-Schiff, der „Viking Lomonosov“, gebracht. Keine Warteschlangen, kein störendes Stimmengewirr, kein lästiges Gewusel bei der Einschiffung, und so komme ich fast im Durchlauf in meine Kabine.

Darauf erst einmal ein kühles, prickelndes Glas Krimsekt und die Füße gemütlich hoch gelegt. Genüssliche Zeit später lassen unser Küchenchef Matthias und Restaurantmanagerin Natalia keinen Wunsch offen. Recht charmant und freundlich auch meine neuen Tischnachbarn 

Potemkinsche Treppe Schnell stehle ich mich nach dem Willkommens Cocktail aus der Sky Bar  hinaus und lasse mir vom freundlichen Hotel Manager Henry erklären, wie ich zur Potemkin Treppe, dem Wahrzeichen der Stadt, komme. Spielte doch gerade diese Treppe im 1925 gedrehten, legendären Film „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergej Eisenstein eine große Rolle, als Soldaten des zaristischen Russlands hier ein Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichteten 

Doch diese Frage an Henry ist fast überflüssig, denn vom Hafen, dem Meeresbahnhof mit dem großzügigen Morsky Voksal-Platz führt sie hinauf zum weit hin sichtbaren Richelieu-Denkmal und weiter zum Primorski Boulevard, der Prunkstrasse dieser Millionenstadt Odessa.

Zwei Tage lang steige ich diese 192 Stufen mit ihren 10 Treppenabsätzen hinauf.

Einen ersten groben Überblick habe ich auf einer interessanten Stadtführung mit unserer Reiseleiterin Svetlana bekommen. Zwei Tage erkunde ich eine Stadt, wobei sich mir eine Welt öffnet. Da bin ich höchst überrascht, dass sie wesentlich positiver aussieht, als ich sie mir vorgestellt habe. Da finde ich an diesem Wochenende überaus interessante, gut gekleidete  Menschen, die interessante Dinge tun. Wie diese älteren Herrschaften, die imOdessaGorodskojpark bei konzertanter Musik tanzen. Und wie die Kapelle dann „Freude schöner Götterfunken“ aufspielt, da hält es weder jung noch alt auf ihren Parkbänken.

 An diesem sonnigen Samstagnachmittag, das vermisste Gepäck ist gerade auf meine Kabine gebracht worden, zieht es mich aber auch zu einem fakultativen Landausflug gut 20 Kilometer vor die Tore von Odessa in die berühmten Katakomben. Hier steige ich mit einer Gruppe interessierter Teilnehmer tief hinunter in diese düsteren und feuchten Gänge. Am Anfang glaube ich, mich ob der Länge dieser Katakomben von OdessaKatakomben verhört zu haben. Doch es sind wirklich 3000 Kilometer enge und breite Stollen, die bis weit unter das weitläufige Stadtgebiet von Odessa reichen. So manches Haus soll dabei schon in Schieflage geraten sein. Herzog von Richelieu verdankt man die  unterirdischen Gänge, aus denen die Muschelkalksteine der meisten Häuser bereits im 19. Jahrhundert herausgeschnitten worden sind. Noch heute hält man an dieser Tradition fest. Sind diese Katakomben heute ein Touristenziel, die man seit 40 Jahren mit ihren gut 1000 Ein- und Ausgängen versucht zu katalogisieren, so dienten sie sehr erfolgreich im Zweiten Weltkrieg russischen Partisanen als Unterschlupf

Festung Akkermann

Sehr selbstbewusst präsentieren sich auch die jungen Leute, die in der Festung Akkermann, in Bilhorod-Dnistrowskyj, gut eineinhalb Busstunden mit Jurij am Steuer von Odessa entfernt, ein Zeltlager in dieser Burg errichtet haben. In diesem gut erhaltenen Bauwerk aus dem Mittelalter wurden bei Ausgrabungen Teile der altgriechischen Stadt Tyra aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus gefunden. Heute laden die jungen Leute in dick gepanzerten Rüstungen mit schweren Säbeln zu Schaukämpfen ein, die von vielen Zuschauern angefeuert werden.

 Leinen los, heißt es dann am späten Sonntagabend. Und während die „Viking Lomonosov“ langsam Odessa verlässt, bleibt mein Herz in dieser Stadt mit ihren freundlichen Menschen zurück. Küchenchef Matthias und Restaurantmanagerin Natalia werden das wohl geahnt haben, denn sie präsentieren ein leckeres Drei- Gänge-Menü. Da freue ich mich bei der Vorspeise auf Speisen auf der Viking Lomonosovköstlichen Lachskaviar an knusprigen Rösti mit Eierremoulade und Blattsalat mit frischem Kräuter-Dressing. Zur Hauptspeise dann gebratenes Rindsfilet Mignon mit Trüffelkruste, Madeira Sauce, glasiertem Gemüse und Risolee Kartöffelchen. Hausgemachter Aprikosenkuchen mit zweierlei verschiedenen Fruchtgeleés dann zum Dessert. Von allen Seiten werden die exzellente Küche und der aufmerksame Service der jungen ukrainischen Damen gelobt.

 Nach solch einem Gaumenschmaus lasse ich mir einen Cocktail in der Sky Bar schmecken. Dabei erfahre ich von Svetlana etwas über den Sauerstoffgehalt des Schwarzen Meeres, über das wir gerade bei ruhiger See hinüber zur Krim nach Sewastopol schippern.

 „Das salzarme Oberflächenwasser,“ so sagt sie, „liegt wie ein Deckel auf dem dichteren, salzhaltigeren Tiefenwasser. Es herrscht somit eine stabile Schichtung mit nur unbedeutendem vertikalem Austausch. Da somit kein Sauerstoff in die Tiefe gelangt, können in weiten Bereichen des Tiefwassers keine Organismen existieren. Und da dort tief unter uns eine Fäulnis entsteht, können aus deren Überresten einmal Erdöl oder Ölschiefer entstehen.“

 Die „Viking Lomonosov“ ist die ganze Nacht mit mäßigem Schaukeln durchgefahren und legt nun am Nachmittag im Hafen von Sewastopol auf der Krim inmitten mächtiger Kanonenboote der traditionsreichen Schwarzmeerflotte  an. War doch diese Stadt aus militärischen Gründen bis 1996 für alle Ukrainer und Ausländer total gesperrt. Ein paar Kilometer weiter, die wir mit BalaklavaJurij in seinem Bus zurücklegen, besichtigen wir ein weiteres Relikt aus dem „Kalten Krieg“. Da stehen wir in Balaklava, einer wunderschönen Bucht unweit des Schwarzen Meeres, vor einer unspektakulären Einfahrt. Aber die hatte es in sich: Unter allerhöchster Geheimhaltung hatte Stalin 1947 nach dem Abwurf der amerikanischen Atombomben auf Japan einen Zufluchtsort für die Reparaturen seiner U-Boote bauen lassen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion spielte dann dieser Bunker mit einer Deckenhöhe von 220 Metern keine Rolle mehr, in dem seinerzeit die U-Boote mit atomaren Sprengkörpern versehen wurden. Heute bestaunen Touristen wie ich die 40 Zentimeter dicken Türen aus bestem Stahl, deren Türhälften mit einem Gewicht von jeweils 10 Tonnen nur von mehreren Soldaten bewegt werden konnten. Und bei den beiden Türschleusen war immer eine Tür geschlossen. Nach dem Ende der Reparaturarbeiten fuhren die U-Boote grundsätzlich in Tauchfahrt aus der Bucht heraus, damit niemand wusste, wie viel U-Boote gerade im Bunker waren.

 Wir aber wissen am Abend genau, dass 80 Sänger, Musiker, Tänzerinnen und Tänzer des weltberühmten Chores und Orchesters der Schwarzmeerflotte im eigenen Theater auf der Chor der SchwarzmeerflotteBühne in der Leninstraße in Sewastopol  stehen und Heimweh nach Wellen, Wind und See haben. Nicht nur in Deutschland haben sie schon oft märchenhafte Triumphe gefeiert, auch hier in ihrem eigenen Hause bekommen sie von unserem Schiffspublikum stehende Ovationen für ihren Brückenschlag zwischen den Völkern.

 Wie ich dann am nächsten Nachmittag die Leninstraße hinauf schlendere, da steht an einem heroisch aufgestellten Panzer, der zu den ersten zählte, die nach der deutschen Besetzung 1944 in die Stadt einrollten, eine kleine Veteranengruppe. Dabei fallen mir Vasiliys strahlende Augen sofort auf. Seine Würde und Freundlichkeit sprechen mich sofort an, wie er da in Reih und Glied steht und sich auf seine Urkunde freut, die er für seine Beteiligung an der gestrigen Rallye über die Krim bekommt. Allen hat der besondere Tag so gut gefallen, dass sich die Tschernobyl Veteranen jetzt jedes Jahr treffen wollen, um etwas Besonderes zu machen. „Mal rauskommen aus dem trostlosen Alltag,“ darauf freut sich Vasiliy schon heute wieder. Wie er das Tschernobyljetzt so traurig sagt, der ehemalige Offizier, der für sein Vaterland in Afghanistan gekämpft hat und der vor genau 25 Jahren als Feuerwehrmann mit seiner „Krimeinheit Nord“ nach Tschernobyl für ein halbes Jahr abkommandiert wurde, da hat das Leuchten in seinen Augen ein Ende. Da zeigt er mit ausgestrecktem Arm und wütendem Gesicht auf seinen besten Freund, der mit Orden hoch dekoriert etwas abseits steht und mit Gleichgesinnten debattiert, dabei seine Urkunde fest in der Hand hält.  „Krebs im 4. Stadium hat er und lebt nur noch mit Morphium,“ kommt es mit heiserer Stimme klagend aus seinem Mund. Dabei bekommen wir vom Staat nicht mal einen Hryvnia Unterstützung. Nichts, gar nichts zahlt man uns für unseren Schmerz, den wir täglich erleiden müssen. Selbst meine Medikamente muss ich noch selbst bezahlen. Dabei haben sie schon die allermeisten Tschernobyl-Veteranen zu Grabe getragen. „Weißt Du, das Schlimme ist, in einem Krieg hast Du einen Feind, aber in Tschernobyl,“ und dann versagt seine heisere Stimme und er wendet sich von mir ab und geht einfach seinen Weg.

Sergey BykovskiyTief betroffen mache ich mich auch auf meinen Weg hinunter zum Schiff. Begleitet werde ich dabei von Sergey, dem Vorsitzenden des Vereins der Veteranen aus  dem „Großen Vaterländischen Krieg“, dem 2.Weltkrieg, dem Afghanistan-Krieg und der Tschernobyl-Veteranen. Ihn, den jungen Mann mit gerade mal 40 Jahren, haben sie bewusst zu ihrem Vorsitzenden gewählt, da er vermutlich alle überleben wird.

 Wie wir da gemeinsam die Leninstraße hinunter zum Hafen gehen, da erzählt mir Sergey, dass sie damals, 1995, einen schlimmen Unfall auf einem Atom-U-Boot im Nordmeer bei Murmansk hatten. Und er, seinerzeit 2. Kapitän auf diesem Boot, hat aktiv geholfen, das Boot zu retten. Wovon er heute unter anderem eine Nervensystem- Schädigung zurückbehalten hat. Wie wir dann vor seinem Arbeitsplatz, dem Institut der Atomenergie angekommen sind, verabschiedet er sich von mir, denn hier bildet er Spezialisten für Atomwerke aus.

Khanpalast in Bachtschisaraj Ein paar Stunden später stehe ich dann am marmornen Tränenbrunnen des Khanpalastes in Bachtschisaraj, der ehemaligen Hauptstadt der Krimtataren. Hier hat uns Jurij wieder einmal hin chauffiert. 1944 ließ Stalin alle Krimtataren deportieren und deren Kulturdenkmäler zerstören. Nur diesen Palast verschonte er, da der russische Dichter Puschkin genau diesem Brunnen ein Gedicht gewidmet hat. Und durch dieses Märchen aus 1001 Nacht wandele ich jetzt. Schaue mir die verschiedenen Baustile aus 200 jähriger Bauzeit von Baumeistern aus Russland, Italien, der Türkei und der Ukraine an und stelle mir vor, wie eine der vier Ehefrauen des Khans gerade hinter den farbigen Gläsern mit tatarischen Ornamenten in buntes Licht getaucht wird

2. Kapitän Dimitri Wolkow auf der An diesem Dienstagabend heißt es mal wieder Leinen los und Kurs auf Jalta. Ich freue mich darauf, den feudalen Badeort kennen zu lernen, in dem russische Zaren und rote Despoten kurten und die Kriegsalliierten Stalin, Churchill sowie Roosevelt 1945 Europa neu aufteilten.  Heute soll sich die neue Oberschicht von Russen und Ukrainern dort dem „schönen Leben“ hingeben. Auch die reiche, leichtlebige und genusssüchtige Jugend des Landes soll dort verkehren.

 Wie ich dann am nächsten Morgen aufwache und als erstes zum Kabinenfenster hinaus schaue, da zieht gerade ganz langsam in einiger Entfernung unter dem stahlblauen Himmel das 

Schwalbennest auf der KrimSchwalbennest vorbei. Klebt dieses architektonische Denkmal doch mutig auf dem steilen Aurora-Felsen, einem der Felszacken des Kaps Aj-Todor.

 Später auf der Uferpromenade Nabereshnaja schaue ich mich dann nach der sündigen Oberschicht und der genussüchtigen Jugend vergeblich um. Das einzige, was mir auffällt, ist Genosse Lenin, der noch seinen dicken Wintermantel trägt und ein vermutlich wichtiges Dokument in seiner rechten Hand hält. Dabei hinterlassen die Tauben ihren Dreck auf seinem Kopf.

 Ich schlendere mit einigen Tischnachbarn weiter an den schicken und teuren Boutiquen und Restaurants vorbei, bleibe hier und dort stehen, bewundere die äußerst hübschen jungen Damen in ihren aufregenden Miniröcken Jaltaund den High Heels. Fasziniert  aber bin ich von einigen netten älteren Damen, die sich aus alledem nicht viel machen und seelenruhig häkelnd an der Uferpromenade sitzen. Da höre ich mit einem Ohr von meinen Tischnachbarn frotzelnd: „Ja ja, morgens Omi, abends Brioni.

Strand von JaltaAm Kieselstrand hinüber zum auf Stelzen stehenden Restaurant „Solotoje Runo“ präsentiert sich nicht mal – wie in unseren Gefilden - eine Schönheit mit nacktem Busen. Alles läuft äußerst gesittet ab, was nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einmal ganz anders gewesen sein muss, wie ich zu Hause gelesen hatte.

 Einen Besuch des „Schneeweißen Großen Palast Livadija“ habe ich mir in Jalta ausgesucht. Und so sitze ich wieder im Bus von Jurij, der uns mit weiteren vier Kollegen und ihren deutschen Reisebussen zu jedem Aufenthaltsort folgt. Da fahren wir durch enge grüne Gassen, hinter deren hohen Mauern alte Paläste der Zeit trotzen, weit hinauf zu einer Aussichtsplattform, die für einen solchen Palast mit gigantischer Aussicht wie geschaffen ist. Da schlendere ich durch italienische Renaissance in den Weißen Saal mit der stuckverzierten Decke und dem großen Palast Livadija Marmorkamin und überlege, ob der wohl damals bei der Konferenz von Jalta im Februar 1945 angefeuert worden ist. Sehe vor meinem geistigen Auge, wie der todkranke Franklin D. Roosevelt im Rollstuhl in seinen Gemächern residierte, den Josef Stalin der schlechten Straßen wegen hier als einzigen mit seiner Tochter untergebracht hatte. Und die schrieb seinerzeit ihrer Mutter nach Hause, dass sie hier wie Butter in Sauersahne einquartiert seien. Mit einem Ohr bekomme ich mit, dass während der achttägigen Konferenz der Himmel derart voller Kontrollflugzeuge gewesen sein soll wie bei der Schlacht um Moskau. Dass man 74 000 Menschen überprüft und 700 verhaftet und in die Gefängnisse gesteckt hat. Sieben Passierscheine mit unterschiedlichen Farben und Parolen wurden benötigt für die 274 Persönlichkeiten, die von 200 KGB-Mitarbeitern in jedem Gästepalast beschützt wurden. Nach so vielen Zahlen führt man mich weiter ins Arbeitszimmer und die Privatgemächer des letzten russischen Zaren Nikolaus II. und seiner Familie. 

„Sail away“ PartyAm frühen Donnerstagmittag heißt es mal wieder Leinen los. Auf Wiedersehen Jalta sagen alle bei einer „Sail away“ Party auf dem Sonnendeck, während uns kleine Delphine begleiten und von weitem das stolze „Schwalbennest“ zum Abschied ein letztes mal grüßt. Später nimmt die „Viking Lomonosov“ über den mächtigen Fluss Dnjepr Kurs auf Cherson, Saporoshje bis hinauf nach Kiew. Dabei werden fünf mächtige Schleusen auf unserem Wasserweg liegen, die das Schiff 91,5 Meter hoch befördern.

 Weit schon vor Cherson verlassen wir nun also das Schwarze Meer. Da wird es erst einmal auf dem Dnjepr richtig eng. Da sucht man sich einen schmalen Wasserweg zwischen den vielen großen und kleinen grünen Inseln. Wir winken dabei hinüber zu den freundlichen Menschen in ihren Datschen und  passieren nur wenige Ortschaften. Dabei muss ich an die Potemkin'schen Dörfer denken. Angeblich hatte der Gouverneur von Süd-Russland, Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potemkin (Potjomkin), für bevorstehende Inspektionsreisen seiner Zarin Katharina entlang der Flüsse Ortschaften mit bemalten Häuserkulissen zum Schein errichten lassen, um das trostlose Gesicht dieser verlassenen Gegend seiner Herrscherin und zugleich Geliebten zu ersparen.

St. Jekaterinen-Kirche Jetzt, an diesem Freitagmittag legen wir in Cherson an und Jurij bringt uns an den Ort, an dem der große Reichsfürst beigesetzt ist. Hier in der St. Jekaterinen-Kirche stehe ich schweigend an seinem Sarkophag, während draußen Mitglieder des örtlichen Freilichtmuseums in hübscher Folklorekleidung musizieren und traditionelles Selbstgebasteltes zum Verkauf anbieten.

 Nur ein paar Straßenzüge weiter ein riesiges Kinderfest zum „Tag des Kindes“. Da tanzen Kinder in hübschen bunt bemalten Kostümen auf einer Bühne vor einem gerade erst eröffneten, westlich orientierten gläsernen Einkaufszentrum, während Jana davor an einem Chersonkleinen Stand die Bemalung von Kindergesichtern anbietet. Die junge, strebsame Dame erzählt mir dann auch, dass sie Theatervisagistin studiert, damit sie später einmal in einem Theater oder auch vielleicht auf einem Schiff arbeiten kann.

ChersonBereits am frühen Abend verlassen wir Cherson wieder und fahren nahe am Ufer des jetzt mächtigen Mündungsdeltas vorbei am großen Hafengebiet mit seinen vielen riesigen Kräne. Die ersten Schiffe, die hier im 18. Jahrhundert vom Stapel liefen, begründeten den Ruhm der russischen Schwarzmeerflotte. Da taucht aber auch in Sichtweite die riesige „Mutter-Heimat-Statue“ auf, die wie viele ihresgleichen zum Gedenken an die unendlich vielen Gefallenen im Großen Vaterländischen Krieg errichtet worden ist.

 Es ist Samstagmittag, und unser mächtiges Schiff fährt butterweich mit nur wenigen Zentimetern Abstand auf beiden Seiten in die größte Schleuse der Ukraine, der zweitgrößten der Welt, bei Saporoshje ein. Wie sich dann hinter uns die Schleuse schließt, schaue ich die bedrohlich schwarzen Wände bis weit oben zum Licht hinauf. Schleuse bei Saporoshje Es ist feucht und stickig und riecht faulig. Wie dann ein leises, unheimliches Gurgeln und stählernes Hämmern ab und an zu hören ist, erinnert es mich an die Geräuschkulisse des U-Bootfilms „Das Boot“ von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1981. Ich bleibe mit meinem Regenschirm am Bug stehen und verfolge bei Nieselregen, wie es dann innerhalb von kurzer Zeit 37 Meter in die Höhe geht. Oben angekommen wird in der Ferne weit hinter der Stadt ein riesiges Industriegebiet sichtbar, das seinen hohen Bedarf an Energie vom benachbarten Kernkraftwerk deckt.

 Wie wir dann aus der Schleuse hinaus einen scharfen Bogen nach rechts zur Anlegestelle fahren, da hat der dunkle Himmel alle Schleusen geöffnet. Mit Regenschirm bewaffnet geht’s über mächtige Pfützen tänzelnd nur einige Meter hinüber zum Bus von Jurij. Und während der Stadtrundfahrt zeigt sich bereits wieder die Sonne und beglückwünscht die vielen Ukrainisches HochzeitspaarHochzeitspaare, die wir im Übrigen im ganzen Land sehen.  Was den Eindruck erweckt, als stünde die halbe Ukraine vor dem Traualtar.

 Weiter fahren wir auf die nahe gelegene Insel Chortitza zu Kosakenreiterspielen. Da erzählt uns Svetlana im Bus, dass das Wort „Kosak“ aus dem Türkischen kommt und einen unabhängigen Mann, einen Abenteurer und Vagabunden bezeichnet. Als 1747 durch ein Gesetz die Leibeigenschaft der Bauern eingeführt wurde, verließen viele ihr Land, flohen in die Grassteppen am Don und Dnjepr und wurden Kosaken. Ackerbau war zu dieser Zeit verpönt, materielle Güter verachteten sie. Lieber wohnten sie in eigenen Hütten, lebten von Fisch, Wild und Honig und schätzten nur die wertvollen Waffen und Pferde für ihre weiten Raubzüge.

Ukrainische KosakenWie ich dann noch beeindruckt von den wagemutigen Reiterkünsten dieser Abenteurer bin, verabschieden wir uns bereits wieder am frühen Abend von Saporoshje. Jetzt heißt es, einen ganzen Sonntag an Deck auf dem Liegestuhl zu verbringen, und sich gedanklich auf Kiew vorzubereiten oder einen Kochkurs mit Küchenchef Matthias zu besuchen. Der zeigt, wie die traditionellen ukrainischen Wareniki zubereitet werden, die alle Großmütter an die jungen Generationen mit ihrem eigenen Geheimrezept weiter geben werden.

DhjeprSpäter, nach dem Abendessen, sitze ich mit einem leckeren Cocktail auf einem Barhocker mit herrlichem Ausblick aus den Fenstern der  Panoramabar und genieße das stimmungsvolle Sundowner–Naturschauspiel. Neben mir hat in der Zwischenzeit Hotelmanager Henry Platz genommen, der wie an allen Tagen, alles bestens im Griff hat. Dabei erfahre ich von dem Hotel Manager Henry Seiler.gelernten Hotel-Fachmann, dass er sich bei Beverage-Künstler Charles Schumann in München seinen Feinschliff geholt hat. Um aber auch seine einhundert Mitarbeiter hier auf diesem Schiff zu verstehen und zu lenken, hat er ihre ukrainische Sprache erlernt. „Wenn ich hier einem ukrainischen Personal etwas beibringen möchte, dann ist es für mich sehr wichtig, dass ich weiß, welche Mentalitäten, welche Gewohnheiten dieser Mitarbeiter hat,“ sagt er mit leuchtenden Augen. „Denn freundliche, einsatzfreudige Mitarbeiter sind ja das, was der Gast schätzt und erwartet.“

StewardessenAuf der „Viking Lomo- nosov“ fällt auf, dass man sich nicht wie auf einem riesigen Kreuz- fahrtschiff mit über 3000 Gästen verlaufen kann. Jogger freuen sich darüber, dass  sieben Schiffsumrundun- gen auf dem Oberdeck genau eine Meile betragen. Und alle Lautsprecherdurchsagen werden in Englisch und Deutsch geführt. Stammt doch gut die Hälfte von den 220 Passagieren aus dem deutschsprachigen Raum, die andere Hälfte aus den Vereinigten Staaten, Israel und sogar aus Sri Lanka.

 Und dann liegt sie vor uns, die Stadt mit den mächtig beeindruckenden goldenen Zwiebeltürmen, die einst als „Mutter aller russischen Städte“ auserkoren wurde und man sie auch als „Jerusalem des Ostens“ gerne tituliert, da sie wegen der vielen mächtigen Kirchen und Klöster für die orthodoxe Christenheit besonders geschätzt wird. Die sich aber auch ihren besonderen Charme bis heute bewahrt hat.

Regenbogen von KiewWir legen an am rechten Flussufer. Bei einer Wassertiefe von gerade mal 3,60 Metern misst unser Schiffsrumpf eine Tiefe von 3,20 Meter. Also heißt es hier: Das Ende einer wunderbaren Schiffsreise. Da haben wir aber noch einen ganzen Tag lang Zeit, bevor es wieder mit dem Flieger nach Hause geht.

Sophienplatz mit MichaelsklosterWo sich zur Zeit Jaroslav des Weisen noch mühsam Pferdewagen vorbei an Holzhütten zu prächtigen Palästen, großartigen Kirchen und gigantischen Klöstern über morastige Wege quälten, da laufe ich heute nach der Stadtführung über mächtig breite, verkehrsreiche Strassen zu den gleichen geschichtsträchtigen Gemäuern von einst.

 Da beschäftigt mich noch lange das beeindruckende Höhlenkloster, dass im 11. Jahrhundert von Einsiedlern gegründet wurde. Nach dem Ausbau des Klosters Lavra über der Erde dienten die Höhlen von nun an als unterirdische Grabstätten für die Mönche. Auch ich gehe mit einer Kiewer Höhlenkloster LawraKerze in der Hand durch die engen, dunklen Stollen und bleibe andachtsvoll an einigen der kleinen Glassärge mit den Mumien der dort aufbewahrten Mönche stehen. Halte inne und versuche, ihren Atem, ihre Seele zu verspüren. Eine Seele, die im ganzen Land, in allen alten Gassen, dem anmutigen Gesicht der Heiligen Sophia, den weitläufigen Parkanlagen und im Lächeln der hübschen Ukrainerinnen zu verspüren ist.

 

Gerd Krauskopf

 

 

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