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Nordfriesland, Sylt

Corona-Modellregion Nordfriesland

Sylt 

 Sylt ist wieder online und der Urlaub lohnt sich trotz mancher Abstriche

 

Von Uwe Junker

 

Endlich wieder Touris, mögen sich die beiden Möwen denken. Endlich wieder Trubel, Glotzen, Futter. Sie kreisen über einer bahnhofsnahen Fischbude in der Hoffnung, dass nach sechsmonatigem Corona-Lockdown endlich mal wieder was für sie abfällt. Ihre Blicke fallen dabei auf edles Blech, dass der DB-Sylt-Shuttle entlädt: Porsche, Aston Martin, Maserati, Ferrari röhren um die Wette. Die kompakte Begutachtungsmöglichkeit solch edler Karossen ist genauso typisch für DIE Insel wie der Wettermix, der uns empfängt: steife Brise und ein schnell wechselnder Mix aus Sonne und Regen.Sylt

Was ist anders? Auch den aufmerksamen Blicken der sich sanft im Wind wiegenden Möwen werden die Masken-tragenden Menschen in der Fußgängerzone, die zahlreichen Corona-Testzentren und Hinweisschilder nicht entgangen sein. Wir realisieren schnell, dass Digital-Detox und komplettes Sich-Fallenlassen in diesem Urlaub nicht funktioniert: Im Cafe´ „Extrablatt“ werden erstmals die Impfausweise kontrolliert und wir müssen uns mit der Luca-App ein- und auschecken. Trotzdem genießen wir den ersten außengastronomischen Kuchen und Latte Macchiato seit Monaten sehr – ebenso wie den Abendspaziergang am Strand ohne Maske, aber mit Sonne.   

Unterwegs am Roten Kliff

Wir freuen uns: Die Wettervorhersage ist recht gut, wir wagen ausgiebige Masken-lose Frischluftaktivitäten. Starten mit einer langen Strandwanderung entlang des „Roten Kliffs“ von SyltWenningstedt nach Kampen. Richtig rot wird diese nach Helgoland beeindruckendste Steilküste der deutschen Nordseeküste zwar erst bei Sonnenuntergang, doch Schönfärberei frönt sie auch bei Tageslicht. Wir wandern auf der Insel-Westseite weiter, vorbei an der „Uwe-Düne“, der mit 52 m höchsten Erhebung Sylts. Benannt ist die nach dem Juristen Uwe Jens Lornsen, einem engagierten Vorkämpfer für ein vereintes und unabhängiges Schleswig-Holstein.Sylt110 Holzstufen führen auf eine Aussichtsplattform hinaus, von der wir unserer Blicke über die Mitte der Insel bis zu ihrer Nordspitze und zum dänischen Festland schweifen lassen. 

Ziellose Weiten am Kliffende

Das Haus „Kliffende“ ist unser nächstes Ziel. Heute in Privatbesitz, beherbergte es als Nobelhotel in den 1920er und1930er Jahren kulturelle Lichtgestalten wie den Maler Emil Nolde, den Verleger Ernst Rowohlt und den Schriftsteller Thomas Mann, aber auch üble Gesellen wie NS Reichsmarschall Hermann Göring. Man möchte meinen, Chansonnier und Sylt-Fan Reinhard Mey habe auf seinem neuen Album der geschichtsträchtigen Herberge das Lied „Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten“ gewidmet:Sylt

„Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten

Hoch überm Kliff mit den Fenstern zur See

Warten sie wortlos, die Blicke entgleiten

In ziellose Weiten, sie sitzen in Lee…“

Wir setzen uns auch in Lee - auf eine Bank mit Blick auf das besungene Haus und das unter ihm heranbrandende Meer, lassen unsere Blicke und Gedanken schweifen begleitet von Meys Song via Smartphone. Bewundern einmal mehr, wie gut der Künstler Orte und Stimmungen mit Worten und Musik einfangen kann, spüren die inspirierenden Kräfte dieses zeitlosen Ortes. Die veranlassten den Verleger Rowohlt einst, seine Autoren hierher einzuladen und Thomas Mann zu tiefgründigen Aussagen wie dieser:

„Nicht Glück oder Unglück, der Tiefgang des Lebens ist es, worauf es ankommt.

An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt und was es aufregte,

das wird, gebe es Gott, irgendwie einmal ehrenhaft fruchtbar werden.“   

SyltWir lassen uns am Ende der Wanderung im renommierten Cafe´ „Kupferkanne“ das idyllisch auf Kampens Wattseite gelegen ist, mit Rhabarber-Erdbeerstreusel und Kaffeespezialitäten verwöhnen. Ein Regenschauer hat sich verzogen, die großen Schirme werden vom Team optimistisch zugeklappt, der Blick auf den Wattwanderweg von Kampen nach Keitum wird frei und die Idee für unsere nächste maskenlose Unternehmung geboren: am „Grünen Kliff“ von Keitum nach Kampen zu wandern. 

Geschichtsträchtiges Keitum: Kapitäne und Friesenhäuser

Bevor es am nächsten Morgen losgeht, frühstücken wir stilvoll nordfriesisch in der „Kleinen Teestube“ in Keitum, das zu Recht als eines der schönsten Dörfer Nordfrieslands gilt. Linden, SyltBuchen, Kastanien, Fliederbüsche und Heckenrosen scheinen in einem Wettkampf um den üppigsten Wuchs zu stehen. Wo heute Sylt am grünsten ist, befand sich vor zweihundert Jahren ein baumloses Heidedorf. Doch seit dem 19. Jahrhundert, als der Lehrer Christian Peter Hansen sich für die Anpflanzung von Bäumen einsetzte, verging genug Zeit, um Keitum sein grünes Gesicht zu geben.

Es ist noch still hier an diesem Frühlingsmorgen. Die meisten Touristen tummeln sich wohl irgendwo am Strand oder lassen sich mit einem ausgiebigen Frühstück in den endlich wieder geöffneten Cafes verwöhnen. So können wir ungestört auf den verschlungenen Wegen wandeln, die den alten Ortskern durchziehen und von prächtigen Friesenhäusern gesäumt Syltwerden.  Diese stammen vorwiegend aus dem 18. Jahrhundert, einige sind noch älter. In der damaligen wirtschaftlichen Blütezeit Sylts lebte fast jede Familie von der Seefahrt. Die Männer waren als Handelsseefahrer auf allen Weltmeeren unterwegs, um mit Kostbarkeiten wie Gewürzen, Stoffen oder Tee nach Europa heimzukehren oder machten als Walfänger ein Vermögen. Da fast jeder Mann fern der Insel unterwegs war, bestimmten ihre Frauen die Geschicke des Dorfs und seiner Familien. Noch heute merkt den selbstbewussten Friesinnen diese frühe Emanzipation an. Man lebte gut damals. Davon zeugt das Museum „Altfriesisches Haus“, das Wohnhaus eines Walfängers mit Originalmobiliar aus dem Jahr 1793.  Und man Syltstarb ehrenvoll: Auf dem Friedhof neben der mittelalterlichen Kirche St. Severin finden sich würdevolle Grabsteine der damaligen Kapitäne und ihrer Ehefrauen. Auch charismatische Persönlichkeiten unserer Zeit wie beispielsweise der Verleger Peter Suhrkamp und der Journalist Rudolf Augstein fanden in dieser nordischen Stille ihre letzte Ruhe. 

Mystische Stille am Grünen Kliff

Keitum und seine Umgebung haben etwas Mystisches, Stilles, der Welt Entrücktes. Wir spüren es, als wir den Pfad vom altfriesischen Haus hinunternehmen, um unsere Wanderung über Munkmarsch nach Kampen zu beginnen: Stille, nur manchmal unterbrochen von SyltMöwengeschrei, sich im Wind sanft wiegende Schilfgräser, Reiher, die lautlos durchs Watt stolzieren, blau-klarer Himmel mit ein paar Wolkentupfern, hier und da würziger Heideduft. Mit jedem Schritt werden wir mehr und mehr von einer friedlichen Ruhe erfasst. Die kleinen und großen Sorgen des Alltags, aller Unfrieden unserer Welt scheinen von der stillen, grünen Weite absorbiert zu werden. „Wie herrlich tief sich hier atmen lässt – es ist so, als würden alle Weltschmerzschlacken restlos ausgeräumt. (…) Es ist so eigenartig, dass alles, was man an ´Sorgen´zu haben glaubt, hier einfach zu einem Nichts zusammenschmilzt. Also – ich strahle Syltaus allen Poren Lebensfreude“, schrieb der Maler Kurt-Claude Lambert 1955 an seine zukünftige Ehefrau. Auch der Schriftsteller Max Frisch liebte diese Wanderung sehr und gab ihr den Namen „Das grüne Vergessen“. Wie Recht sie beide doch haben!  

Fazit: Das Gemüt wird auf Sylt bei Möwenschlag und Reizklima positiv gestimmt – solange der Corona-Test negativ bleibt oder im Impfpass eine vollständige Immunisierung dokumentiert ist.

            

                                          

Weitere Informationen:

Corona-Info: Syltist Teil des Modellprojekts in Schleswig-Holstein: Bei Anreise muss ein negativer PCR-Test vorgelegt werden, der nicht älter als 48 Std. sein darf bzw. alle zwei Tage zu erneuern ist. Beides entfällt bei vollständig COVID-Geimpften, wenn die letzte Impfung mindestens zwei Wochen zurückliegt.Aktuelle Infos: Info-Center Westerland, Telefon: 04651-99834.    

Sylter Heimatmuseum in Keitum am Kliff:

Inselgeschichte von den Anfängen bis in das 20. Jahrhundert, noch bis Ende Oktober 2016 Gemäldeausstellung des 1967 verstorbenen und der Insel Sylt sehr verbundenen Hamburger Malers Kurt-Claude Lambert

Alfriesisches Haus in Keitum am Kliff:

Sylter Lebens-und Wohnkultur des 18. & 19. Jahrhunderts

Öffnungszeiten beider Museen:

Ostern bis Oktober: Montag bis Freitag: 10 – 17 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag: 11 – 17 Uhr, aktuelle Änderungen siehe:

Homepage: www.soelring-foriining.de 

Historischer Ortskern: Nördlich des Gurtstigs, zwischen Erich-Johannsen-Wai und Mühlenweg liegen die meisten alten Friesenhäuser, viele älter als 200 Jahre.

Kirche St. Severin: größtes mittelalterliches Bauwerk der Insel, Chor und Apsis aus dem frühen 13. Jahrhundert, Taufstein aus dem 11. / 12.Jahrhundert. Schmuckstücke sind der gotische Flügelaltar und die Renaissancekanzel.

Wanderweg „Grünes Kliff“: Direkte Zugänge von den beiden o. g. Museen, der Weg kann sowohl in südlicher Richtung bis Morsum, als auch in nördlicher bis Kampen zurückgelegt werden.           

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