Helen Wolff – Hintergrund für Liebe

Helen Wolff – Hintergrund für Liebe

Roman: Helen Wolff – Hintergrund für Liebe

 

Vorgestellt von Uwe Junker

 

Der posthum erschienene Roman der renommierten Verlegerin ist eine Hommage an südfranzösisch-mediterranes Leben und weckt unbändige Reiselust – nicht nur in Zeiten von Corona

 

 „Wir können uns überall lieben, sagst Du. Aber dein Trost kommt zu spät. Die Landschaft ist dir zuvorgekommen“. So endet Wollfs berührende, stark autobiografisch geprägte Erzählung. Und die Landschaft ist die Region nahe des südfranzösischen Saint- Tropez wo die Ich-Erzählerin inmitten von Weinreben und Obstplantagen sich ein Bauernhaus mietet, zu sich selbst und dann ihre große Liebe neu findet. Ein 08/15 Liebesroman a la Rosamunde Pilcher, nur diesmal in Südfrankreich statt in Englands Cornwall? Mitnichten. Denn der historische Hintergrund der zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit seinem Übergang von der Weimarer Republik ins Nazideutschland formt vielschichtige Charaktere mit Tiefgang, wenn es sich denn um Menschen wie Kurt („Du“) und Helene („Ich-Erzählerin“) und ihren internationalen, teils erlauchten Freundeskreis handelt, die sich ihre geistige Freiheit und Grenzen überschreitende Mobilität erhalten wollen.

„Es gibt sogar Mond heute abend, einen ganz hellen Mond, und ich habe keine Angst mehr vor dem Schatten. Der Zitronenbaum und die kleine Platane sind unbewegt, auch das Schilf steht still wie eine Mauer. (...) Das Leben ist großartig, sobald man damit einverstanden ist. Alles andere ist falsch.“ Helene, aus ärmlichen Verhältnissen stammend,  hat ihre große Liebe, den 20 Jahre älteren Kurt und eine sich aus dieser Beziehung anbahnende vollständige Abhängigkeit aus freien Stücken während einer gemeinsamen Reise durch die Schweiz nach Südfrankreich bei Nizza verlassen. Denn der hatte nicht nur seiner sie anwidernden Spielsucht gefrönt und Geld verprasst, sondern auch recht ungehemmt die zunächst romantische Zweisamkeit durch Techtelmechtel mit anderen Frauen gestört. Helene war alleine mit einem Linienbus in St. Tropez angekommen. Dort definiert sie zunächst ihre eigenen Lebensziele: Unabhängigkeit, geistig und finanziell und bewusste Lebensfreude sind ihr wichtig. Letztere auch in Gemeinschaft zu erleben, hilft ihr der Aussteiger-Maler und Lebenskünstler Wolf, der sie in die rustikal-liebenswerte Fischergemeinschaft von St. Tropez einführt. Beim jährlichen Fischerball taucht unvermittelt auch die große Liebe Kurt wieder auf – in Begleitung einer weiteren, noch verheirateten Affäre. Diese verlässt er aber kurzum angesichts Helenes Verwandlung von einem jungen willfährigen Mädchen zu einer eigenständigen, gleichberechtigten jungen Frau, die sich in einem eigenen Leben eingerichtet hat. Er zieht in Helenes Bauernhaus ein, beide bauen sich einen gemeinsamen Freundeskreis auf, genießen ihre Liebe und mediterranes Leben in vollen Zügen, während über ihrer deutschen Heimat immer dunklere Wolken aufziehen. In Wolffs eindringlicher Prosa liest sich das zum Beispiel so: „...und wir werfen uns der Welle entgegen, die Aufregung faßt uns ans Herz, wenn das weißgesäumte Ungetüm sich auftürmt und näher rollt, gläsern, hart und lebendig. Wir hören nicht, wir sehen nicht, Salzwasser in den Augen, die Brandung im Ohr, wir sind wie betäubt von den harten Schlägen, wir taumeln in den weißen Schaum, immer wieder habe wir Lust und Angst, immer wieder richtet sich Wasser vor uns auf, blau und grün, weißgeädert, immer wieder saugt eine Welle uns ein, um uns brausend zu entlassen, wegzuspülen, auszustoßen. Es ist das herrlichste Spiel der Welt, ein ewiges Ertrinken, Erblinden, Zerschmettertwerden und Auferstehen. Es ist nie genug.“

Auch im realen Leben mussten Helene und Kurt Wolff mehrmals wieder „auferstehen“: Sie   flohen vor den Nazis zunächst ins südfranzösische Exil, dann unter abenteuerlichen Umständen mit ihrem fünfjährigen Sohn Christian weiter in die Vereinigten Staaten. Anfang der 1940er Jahre gründeten Helen und Kurt Wolff dort den Verlag „Helen und Kurt Wolff Books“, der sich auf europäische Literatur spezialisierte und auch Günter Grass verlegte. Dass sie auch selbst unter verschiedenen Pseudonymen schrieb, hielt Helen Wolff ihr Leben lang geheim. 

„Landschaft ist doch nur Hintergrund für Liebe“, wirklich? Wer den Hintergrund so unmittelbar und inspirierend beschreibt wie Helen Wolff, macht ihn fast schon zur Hauptsache, in der Liebe, Lebens- und Reisefreude sich wie von selbst einstellen.

 

 Herausgeber: Marion Detjen, Illustration: Kat Menschik, Weidle Verlag GmbH, Einband: Kartoniert / Broschiert, ISBN-13: 9783938803967, 20,00 Euro.